01: Flessenburg

Gianna_Lina Holländer

von Gianna_Lina Holländer

Story

Inmitten von weiten Wäldern und Feldern von Oltenland befindet sich die kleine Stadt Flessenburg. Und in Flessenburg lebt das Mädchen Heraphine Hagelstein mit ihrer großen Familie in einem einfachen Haus mit zwei Stockwerken und einem Dachboden.
Es ist Nachmittag und Urgroßmutter Hephzibah macht ihren Mittagsschlaf. Großmutter Helmina hält Kaffeeklatsch irgendwo in der Stadt mit ihren Freundinnen. Mama und Papa sind bei der Arbeit und Heraphine langweilt sich. Sie hat sich aus dem Haus geschlichen und lässt sich willkürlich durch die Stadt treiben.
Bei der Wassermühle angekommen, lehnt sie sich an ein Geländer und schaut dem schäumenden Wasser zu, wie es Schaufel für Schaufel aus dem Rad fällt.
„Ach, wenn doch nur irgendetwas passieren würde hier“, seufzt Heraphine.
Das Land und die Stadt sind idyllisch, aber alles ist eintönig und folgt einem immer gleichen Rhythmus. Selbst die Bauern und Händler, die für den Markt in die Stadt reisen, sind immer dieselben Leute.
Heraphine schaut in den weißen Himmel hoch. Die Sonne strahlt hell und keine einzige Wolke ist zu sehen. Ein perfekter, erster Frühlingstag.
Da kommt eine ihrer vielen Tanten vorbei.
„Hey Heraphine, was machst du hier?“, fragt Tante Marika.
„Ach nix, nur ins Wasser schauen und denken“, tut Heraphine ab.
Tante Marika lacht auf.
„Worüber denkst du denn in deinem Alter schon nach?“
„Ach nix“, wiederholt Heraphine.
„In deinem Alter sollte man spielen. Wo sind all deine Freunde?“
„Die müssen nachsitzen. Sie haben Herrn Hobert einen Streich gespielt“, grinst Heraphine stolz. Sie ist dabei gewesen, aber nicht erwischt worden. Ihre Strafe ist wohl, dass sie jetzt den Nachmittag alleine verbringen muss.
„Einen schönen Tag noch, Tante Marika“, grüßt Heraphine höflich und geht davon.
„Mach’s gut Heraphine“, ruft Tante Marika ihr hinterher.

Heraphine hat den Fischteich am Rande der Stadt erreicht und schaut den Enten zu, wie sie kopfüber nach Essen suchen. An einem solchen Tag gibt es auch wirklich nichts anderes zu tun. Gelegentlich wirft sie einige Stücke Brot in den Teich. Die Enten schwimmen sofort zu der Stelle, wo das Brot gelandet ist und bilden ein Rudel.
Dann wirft sie auf einmal den ganzen Rest Brot in den Teich und lässt sich die Enten darum streiten.
„Tut doch endlich was.“
Dieser Satz ist nicht an die Enten gerichtet, sondern an die ganze Welt. Heraphine ist wirklich bereit für etwas Neues.

© Gianna_Lina Holländer 2024-09-02

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Inspirierend
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