von Nora Sommer
Auch wenn Wien viele schöne Brücken hat, ist drunter zu schlafen nicht besonders erstrebenswert. Wer also zum Studieren in die Stadt kommt und weder genug Mitbegründer für eine WG, noch Kapazitäten für Castings und schon gar nicht die finanziellen Mittel für eine eigene Wohnung hat, landet oft erst mal in einem Studentenheim. Besonders praktisch für Neuankömmlinge frisch von der Schule, die noch keinen in der Stadt kennen und nicht alles selber organisieren wollen bzw. können. So hab auch ich in einem Studentenheim angefangen. In der Brigittenau, dem 20. Wiener Gemeindebezirk, bei der Heiligenstädter Brücke gelegen, hatte es für mich den Vorteil, „zweimal umfallen“ von jenem Uni-Gebäude entfernt zu sein, wo ich im ersten Semester jeden Mittwoch eine Lehrveranstaltung mit Beginn um sieben Uhr Früh hatte. Ja klar mit Anwesenheitspflicht, sonst hätte sich der Vortragende die Abhaltung gleich sparen können. (Wobei, vielleicht auch ein Modell, um einer unliebsamen Lehrverpflichtung nur formal nachzukommen.)
In eben diesem Heimzimmer hielt ich es gut drei Jahre aus, bis ich es vor Antritt eines Auslandssemesters aufgab. Nach der Rückkehr brauchte ich für das Masterstudium eine neue Bleibe. Zufällig ergab es sich, dass meine Studienkollegin Barbara zur selben Zeit ein leeres Zimmer hatte, und da wir halbwegs kompatibel schienen, zog ich ein. Das war der Beginn von sieben recht prägenden Jahren.
Die Wohnung befand sich in einem eigentlich recht schönen Altbau in der Lange Gasse, im „Achten”. Barbaras Vater hatte dort in den frühen Siebziger Jahren mit Freunden eine Wohngemeinschaft gegründet. Man wurde erwachsen, oder zumindest älter, die Mitbewohner zogen aus, irgendwann wurde Barbara geboren – und lebte letztlich auch dort. Als Barbaras Vater irgendwann auszog, übernahm sie den Mietvertrag und machte wieder eine WG draus.
Eine Wohnung mit altem, günstigem und vor allen Dingen unbefristetem Mietvertrag ist eine feine Sache – naturgemäß nur für die Mieter, weniger für die Eigentümer. Dass Leute, die ganze Mietshäuser kaufen, alte Mieter loswerden wollen, überrascht daher ebenso wenig wie die Tatsache, dass selbige auch unlautere Methoden in Betracht ziehen. Barbara schloss einige Jahre vor meinem Einzug die unfreiwillige Bekanntschaft mit ihrem neuen Vermieter. Herr Graus hatte den Altbau gekauft und umgehend begonnen, sich der alteingesessenen Parteien zu entledigen. Sicher um, wie so üblich, die Wohnungen zu renovieren und teuer weiterzuvermieten. Es würde nicht überraschen, wenn billig zu renovieren und als „gschminkte Leich“ zu vermieten der Plan war.
Die Übernahme von unbefristeten Mietverträgen ist nur unter ganz bestimmten Bedingungen rechtens, selbst für leibliche Kinder – zum Missfallen von Herrn Graus waren diese jedoch im Fall von Barbara samt und sonders erfüllt. Was ihn nicht davon abhielt, eventuelle Lücken mit einer Lupe zu suchen, die deutlich weniger legal war als die Mietvertragsübernahme. Diverse Geschichten wie Suggestivbefragung von Nachbarn durch einen eigens angeheuerten Privatdetektiv waren eine Schiene. Von einer anderen Tour, die er versucht hat, erzählt das nächste Kapitel.
© Nora Sommer 2024-03-07