02: Morgenstund & Sand zwischen den Zehen

StrandPoet

von StrandPoet

Story

Die Landung war geglückt, der Pilot hat das Gelernte fehlerfrei umgesetzt und unser gefinkeltes Testament kam daher vorerst nicht zum Tragen. Es war der erste Tag meiner Selbsttherapie. Um 7:35 blinzelte der Scheitel der Sonne keck aus dem Meer, 5 Minuten später hatte sich der imposante Feuerball erfolgreich vom Horizont gelöst. Ich brauchte keinen Wecker. Manche nennen dies senile Bettflucht, ich rede lieber von Schaffensdrang. Wie auch immer, ich war bereits vorher am Balkon. Der ist exakt nach Osten ausgerichtet, gleich hinter der Sonne ist dann Afrika. Oder so ähnlich.

Unsere Unterkunft war ein geräumiges Apartment mit Meerblick im 1. Stock. Ja, unsere, denn Doris war natürlich dabei, ist seit Jahrzehnten an meiner Seite und mein Halt. Sie heißt nicht wirklich Doris, sie wollte als Kind immer so heißen. Pech gehabt. Und nur aus Gründen des Datenschutzes ständig von Liebling, Gattin, Ehefrau oder Haushaltsvorstand zu schreiben, ist mir auf Dauer zu plump. Halten wir fest: Doris war dabei und ich riesig froh drüber.

Die Renovierung der Anlage im Vorjahr war gut gelungen. 40 Jahre Sonne, Wind und salzige Luft hinterließen deutliche Spuren, die nun überwiegend vergessen sind. Einzigartig gelegen, zum Strand waren es nur wenige Schritte. Lediglich 30 m schnurstracks gegen die Morgensonne spaziert und man war da, am langen, um diese Zeit fast menschenleeren Strand. Und schon stand die erste Entscheidung des Tages an: Links abbiegen, also gegen Norden, oder nach rechts gehen, die Südroute wählen. Die Entfernung zu den naturgegebenen Wendepunkten ist beiderseits gleich, 800 m da wie dort, meist wählte ich die Nordroute. Und dann marschierte ich los.

Von wegen marschieren, meine Gangart hat um diese Tageszeit überhaupt nichts Militärisches. Ich latschte, tanzte, wackelte, hüpfte und drehte mich. Für einen Mann jenseits der statistischen Lebensmitte ein eher ungewöhnliches Verhalten. Doch es gab mehrere, die diesen Strand der Costa Calma zu ihrem Therapiegebiet erklärt hatten. Und die führten noch ganz andere Tänze auf.

Fernab von Krankenhäusern und Statistiken drückte ich mit Begeisterung meine Spuren in den feuchten Sand. Verspielt wie ein Kind und ein Liedchen summend. Eine Eigenkomposition, ein erster Versuch, aber davon später mehr. Ich war erwartungsfreudig, zumindest vorübergehend dem globalen Irrsinn entkommen zu sein und hoffte, 2 Wochen lang von den nervigen C-Themen verschont zu bleiben. 3000 km Luftlinie sind’s vom Herzen Österreichs bis nach Fuerteventura. Ein Abstand, der reichen sollte. Theoretisch.

Wie ein Schwimmer in seinem 50 m-Becken zog ich am kitschigen Strand meine morgendlichen Längen. Meist gemächlichen Schrittes, manchmal in den erwähnten eigenartigen Gangarten, stets jedoch mit offenem Geist. Zudem nichts Böses, eigentlich gar nichts ahnend. Dabei hatte er mich schon längst im Visier. Er wartete nur drauf, bis unsere Wege sich zwangsläufig kreuzen mussten.

© StrandPoet 2021-12-08

Hashtags