von mario_nathan
Ein Thema, das mich mein ganzes Leben lang verfolgt hat, ist meine Unfähigkeit, Freundschaften zu schließen und zu pflegen. Das Ganze hat schon sehr früh angefangen, beim Wechsel von der Volksschule ins Gymnasium. Ich war der Einzige aus meiner alten Klasse, der ins Gymnasium gewechselt ist. In der neuen Klasse kannten sich schon Dreier-/Vierergruppen von früher. Ich war allein. Es hat Jahre gedauert, bis ich aufgehört habe, meiner Volksschulklasse nachzutrauern. Der Kontakt zu meinen alten Kollegen ist komplett abgebrochen.
Richtig in die neue Klasse eingewöhnen konnte ich mich nie. Es war eine harte Zeit. Mitschüler, die mir Zettel aus der Hand gerissen haben, damit sie die Mathehausübung abschreiben konnten. Eine Geographielehrerin, die mir ein Minus bei einer Wiederholung gegeben hat, weil die ganze Klasse „Minus! Minus! Minus!“ geschrien hat, während ich noch geantwortet habe. Sie hat zwar gemeint, dass die Klasse gehässig sei, das Minus habe ich trotzdem bekommen.
Sport habe ich als etwas kennengelernt, das nur existiert, damit man sich über mich lustig machen kann. Es war ja so witzig, dass ich irgendwas nicht konnte. Die Sportlehrer waren auch nicht unbedingt Vorbilder. Einer hat sogar mit der Klasse zusammen gegen einen Schüler gemobbt. Mich hat es zwar nicht betroffen, aber es war nicht schön, das anzusehen. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Aber genau dieser Lehrer war bei den Schülern beliebt.
Der Tiefpunkt war jedoch eine Diskussion über Rollenbilder im Deutschunterricht in der vierten Klasse. Ich habe gesagt, dass ich ein paar typische „Bubenhobbies“ nicht hätte. Dann ein Zwischenruf, den ich nie vergessen werde: „Vielleicht bist du deswegen ein Außenseiter!“
Das hat gesessen. Es ist das eine, jahrelang das Gefühl zu haben, dass man nicht wirklich dazugehört. Man redet sich ein, dass es nur Einbildung ist. Diesen Verdacht so direkt bestätigt zu bekommen, ist dann etwas komplett anderes. Ich konnte nicht anders, ich habe im Unterricht zu weinen begonnen.
In den nächsten Wochen haben sie immer wieder in der Wunde gestochert. „Du bist ein Scheißaußenseiter, wir haben dich nie gemocht!“, wurde mir zugerufen, aus heiterem Himmel. Das war mir aber dann schon egal. Ich habe mich damit abgefunden, ein Außenseiter zu sein, und ich kann in diesem letzten halben Jahr auch nichts mehr ändern.
Es hatte auch eine gute Seite: Die Entscheidung, nach der Unterstufe in die HTL zu wechseln, wurde viel einfacher. Ich war wieder allein in der neuen Klasse. Ich habe aber meine alte Klasse nicht vermisst. Es dauerte zwar wieder etwas, bis ich mit der Klasse warm geworden bin, danach mochte ich meine Kolleg:innen wirklich gerne.
Etwas, das mich seitdem in meinem Leben begleitet, ist die Aussage, wie sehr ich mich in den letzten Jahren geöffnet und verändert habe. Ich habe es immer wieder von verschiedenen Seiten gehört. Aber in Wahrheit habe ich mich nicht verändert. Ich musste einfach jedes Mal von vorne anfangen.
© mario_nathan 2021-03-20