#06: Du hast etwas Besseres verdient

Meine erste ernsthafte Beziehung begann im Maturajahr. Es war ein geglückter Verkupplungsversuch. Wir haben nie viele Worte gebraucht. Auch wenn wir uns eine Zeit lang angeschwiegen haben, es hat uns nichts ausgemacht. Wir waren beide eher gute Zuhörer. Wir beide hatten bald den anderen bei den Eltern vorgestellt. Es schien alles zu passen.

Die unbeschwerte Zeit hatte jedoch ein Ablaufdatum: Semesterbeginn. Ich hatte mich für ein Studium an der FH St. Pölten beworben. Computersimulation. Ein einzigartiger Mix aus Mathematik, Physik und Programmieren. Nicht wie die anderen hundert Studiengänge, die mit einem „einzigartigen Mix aus Informatik und Wirtschaft“ warben. Das hätte es überall gegeben. Nein, es musste St. Pölten sein.

Jetzt ist für eine junge Beziehung die Umstellung auf Fernbeziehung ohnehin belastend. Wir wollten es versuchen. Der Umzug nach St. Pölten hat mich jedoch viel schwerer getroffen, als ich dachte. Es war nicht unbedingt Heimweh. Da war das Gefühl, etwas zu versäumen, egal ob ich das Wochenende in St. Pölten oder zu Hause verbrachte. Das Gefühl, es nicht allen recht machen zu können. Das Gefühl, sich zerreißen zu müssen. Die Wochenenden zu Hause waren ausgebucht – die Eltern, die Proben, es hatte gefühlt auch immer irgendjemand aus der Familie Geburtstag. Ich habe das alles auch gern für die Familie getan.

Die einzige Zeit, in der ich zur Ruhe kam, war bei meiner Freundin. Ich war dann immer so erschöpft, so grundlos traurig. Ich habe mich jedes Mal bei ihr ausgeweint, habe nie in Worte fassen können, warum, habe auch nie wirklich gewusst, warum. Irgendwann konnte ich die Zeit mit ihr nicht mehr genießen. Unsere Treffen wurden so unangenehm, es war auch keine Vorfreude mehr da.

Ich habe dann Schluss gemacht. Man kommt sich so hilflos vor, wenn man Sätze wie „Es liegt nicht an dir“ aufrichtig meint und man nichts Genaueres in Worte fassen kann. Natürlich glaubte sie mir nicht. Genauso wie ich ihr nicht glaubte, dass es für sie okay ist, wenn ich mich bei ihr jedes Mal ausweine. Nein, so etwas tut sich niemand freiwillig an, sie hat wirklich etwas Besseres verdient. Immer wieder hat sie angerufen und wollte eine andere, bessere Erklärung. Ich konnte ihr die nie bieten. Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich habe angefangen, ihre Anrufe zu ignorieren.

Ich habe Schluss gemacht und es hat mich selbst verletzt. Ich habe beschlossen, dass ich das niemandem wieder antun will. Ich habe gespürt, dass ich irgendwie kaputt bin, dass ich unfähig bin, eine Beziehung zu führen, wenn ich mich nicht ändere. Ich habe damals beschlossen, mein Privatleben auf die Zeit nach dem Studium zu verschieben.

Mir wurde erst viel später bewusst, wie sehr man Menschen unabsichtlich verletzen kann, wenn man ein so geringes Selbstwertgefühl hat. Man sagt Dinge, die so absurd sind und niemand nachvollziehen kann. Dinge, die wie ein Vorwurf oder eine faule Ausrede klingen. Wie zum Beispiel: „Du hast etwas Besseres verdient.“