07: Cola light zum Frühstück.

StrandPoet

von StrandPoet

Story

Die „Beach Bar Aureola“ klappt um 9 Uhr morgens die Läden hoch. 365 Tage im Jahr, außer wenn es stürmt, aber da bin ich ohnehin nicht da. Ich war an diesem Tag der erste und zunächst einzige Gast. Kakao gab’s keinen, Kaffee hatte ich schon, für Alkohol jeder Art war es zu früh und Limonaden mag ich nicht. Ich erprobte mein bescheidenes Spanisch und bestellte „Aqua con gas y lemon“, was prompt richtig geliefert wurde und mein Selbstbewusstsein ungemein stärkte.

Als schreibender Mensch sollte man nicht nur der deutschen Sprache und deren Grammatik einigermaßen mächtig sein, sondern ab und zu auch seine Wahrnehmung schärfen. Ich hatte mir das für diesen Vormittag vorgenommen, da konnte ich auf Begleitung gerne verzichten. Ich hatte daher meinen Morgenspaziergang auf den Abend verlegt und hoffte, dass Jose seine Anwesenheitspflicht in der Schule ernst nimmt.

Von meinem Sitzplatz aus konnte ich die vorbeiziehenden Frühaufsteher ausgezeichnet observieren, vor allem jene Dinge, die ich mir heute als Schwerpunkt gesetzt hatte: Tattoos! Und da gab’s Tiere zu entdecken, das ist schier unglaublich. Hatte dereinst ein zarter Schmetterling unter dem knappen Höschen scheu hervorgelugt, so quält sich jetzt eine Riesenfledermaus an der Po-Backe ans Sonnenlicht. Und der zierliche Marienkäfer an der wackelnden Hüfte ist zu einer überreifen Kastanie mutiert. Selbst die Mutter Gottes an der Wade hatte sich verändert und ganz ordentliche Wohlstandsbacken angesetzt. Derweilen ich so dahinschmunzle, war er plötzlich da, stand neben meinem Tisch und hatte wieder seinen Dackelblick aufgesetzt.

Ich brachte es nicht übers Herz, Jose verdursten zu lassen: „Setz dich schon her, bestell dir was.“ Keine Minute später servierte der Kellner das georderte Cola light, Jose bedankte sich mit einem gut anerzogenen „Gracias“ und nickte mir dankend zu. „Neymar trinkt das auch“, informierte er mich mit verschmitztem Lächeln.

„Findest du Tattoos eigentlich abartig?“, fragte Jose leicht provokant. Ja, er hat’s bemerkt, ich war wohl zu plump. Ich musste auf der Hut sein, der Knabe ist gefinkelt. „Na ja, abartig vielleicht nicht, ganz normal allerdings auch nicht.“

„Wann ist etwas normal?“, bohrte Neymar weiter. „Soweit ich weiß, ist etwas dann normal, wenn es in die jeweilige Gesellschaft passt, es der Mehrheit entspricht“, gab ich Klugheit vorgaukelnd zurück. „Bist du eigentlich ein toleranter Mensch?“ Jetzt hatte der Knabe den Bogen eindeutig überspannt.

„Hey, du Schelm, du hast mich aufs Glatteis geführt“, beschwerte ich mich bei Jose. Fast als ob er mich verar…., also verarmleuchtern wollte, fragte er mit Unschuldsmiene nach: „Was ist das, Glatteis“? Mir reichte es, ich stand auf und ließ den Knaben mit den Worten sitzen: „Weißt du was, du Musterschüler? Google doch selbst, wo du ohnehin so klug bist.“ An diesem Tag war ich derjenige, der hinter den Dünen verschwand. Mimose, würde meine Doris sagen und mich ärgerte, dass sie recht hätte.

© StrandPoet 2021-12-13

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