1

Linea

von Linea

Story

Es gibt da dieses Mädchen in meinem Leben. Sie sitzt im Deutsch-Leistungskurs neben mir. Ich habe das Schuljahr wiederholt und kenne nicht so viele Leute. Sie kenne ich. Woher, kann ich nicht einmal mehr sagen. Irgendwann war sie einfach da, in meinem Leben. Wahrscheinlich durch eine gemeinsame Freundin. Ihr Name ist Hanni. Sie ist zwei Jahre jünger als ich, fast drei. Früh eingeschult. Sie ist einer der klügsten Menschen, die ich kenne. Und einer der witzigsten. Es gibt nichts, wozu sie keinen blöden Spruch findet, um die Situation zu lockern. Sie nimmt das Leben nicht so ernst und das tut mir gut. Uns allen. Hanni wird Teil unserer Clique, die sich im Laufe des Schuljahres formt. Jeder, der sie kennt, lernt sie lieben. Auf Hauspartys gibt es keine Flips und keine gesalzenen Erdnüsse, denn Hanni ist allergisch. Ihren Epipen, der im Notfall helfen soll, vergisst sie aber eigentlich immer. Hanni denkt wie ich. Wir sind ähnlich motiviert und teilen viele Ansichten. Nach dem Abi will Hanni Medizin studieren. Einerseits ist das ihr Traum, aber andererseits will sie sich nicht stressen lassen. Wir verbringen Freistunden zusammen, machen gemeinsam keine Hausaufgaben für den LK und regen uns über Lehrer auf. Vor der Abiklausur lernen wir auf Lücke. Wir wollen beide ohnehin die Klausur mit dem Gedicht wählen und schauen uns davor nur die Literaturepochen an. Natürlich kommen wir durch. Eins der Gedichte in der Klausur ist eines ihrer liebsten. Nach dem Abi gibt es Stress bei mir zu Hause und plötzlich wohne ich bei Hanni. Sie ist noch nicht einmal achtzehn. Plötzlich wohnen wir alleine. Sie nimmt es irgendwie auf die leichte Schulter und schafft es, mir dazu noch Mut zu machen, obwohl sie parallel ihre Ausbildung schaukelt. Es gibt Unis, bei denen man eine bessere Chance hat, wenn man vorher eine Ausbildung im medizinischen Bereich gemacht hat. Dreimal die Woche gibt es Hühnchen mit Reis und Feta. Im Keller, wo die Waschmaschine sind, treffen wir immer wieder auf die größten Spinnen, und wir haben beide unglaubliche Angst vor den Dingern. Manchmal wagen sie sich hoch in den ersten Stock zu uns und das führt jedes Mal zu Ausbrüchen von Panik. Manchmal müssen die Jungs, wenn sie uns nachts nach Partys nach Hause bringen, noch im Hausflur auf Spinnenjagd gehen, weil wir uns sonst nicht in die Wohnung trauen. Einmal rufe ich panisch bei Sep und Max an. Sie kommen noch um halb 12 vorbei und schlachten eines dieser Monster im Bad. Die nächste Badspinne verlieren wir einige Wochen später und verbringen panisch eine halbe Nacht in der Badewanne. Aber ansonsten kommen wir klar. Gelüftet wird nur, wo es Fliegengitter gibt. Auf dem Balkon wächst wilde Minze in den Fugen. Auf dem Rückweg von einer Party klauen wir einen kaputten Gartenstuhl und stellen ihn daneben. Im Wohnzimmer steht das ganze Jahr über das Weihnachtsrentier. Aber alles ist gut und wir kommen klar. Ab und zu stolpert eine von uns in den Hunkemöller in der Innenstadt und lässt viel zu viel Geld dort. Ich darf lebende Pflanzen nur in meinem Zimmer haben, da Hanni Angst hat, sie allein durch ihr Dasein vertrocknen zu lassen. Die Wohnung ist groß und wir haben wenig Zeit. Die Fliesen sind dreckig und man bekommt sie kaum sauber. Mit meinem FSJ und ihrer Ausbildung ist es schwierig, sich um den Haushalt zu kümmern. Aber wir packen es an. An ihrem Geburtstag schmeißen wir ihr eine Party und feiern mit der ganzen Clique.

© Linea 2023-09-16

Genres
Romane & Erzählungen