1- Der Tod ist meine Bitch

Sina Brooren

von Sina Brooren

Story

Das Blind-sein bringt so einige Nachteile mit sich, aber auch ein paar Vorteile. Ich weiß, das wollen die meisten von Ihnen wahrscheinlich nicht hören. Sie halten lieber fest an ihrem Bild der geknechteten Seelen, die orientierungslos durch die Weltgeschichte irren und Ihnen immer wieder vor Augen führen, wie viel Glück sie doch haben. Doch vertrauen Sie mir, wenn ich Ihnen eines sage: Von echtem Glück haben Sie nicht die geringste Ahnung. Wie ich zu dieser forschen Annahme komme? Ganz einfach: Weil ich das wahre Glück seit meinem Unfall vor drei Jahren, bei dem ich mein Augenlicht verlor, anziehe wie ein Magnet. „Ach wie schön“, denken Sie jetzt bestimmt. „Eine behinderte Person, die ihr Leben mutig anpackt und die Hoffnung nicht aufgibt. Lasst uns eine herzerwärmende Dokumentation darüber drehen und mit „Everybody Hurts“ von REM unterlegen.“ Aber da verstehen Sie mich falsch. Es ist nicht so, dass ich ein „Good Vibes Only“-Schild in der Küche hängen habe und an Manifestation oder so einen Bullshit glaube. Ich mache weder regelmäßig irgendwelche Ajurveda-Kuren, noch meditiere ich, um mein „inneres Glück“ zu finden. Und über Motivationstrainer muss ich entweder lachen, oder ich kriege Aggressionen, weil ihr Gelaber über Selbstverwirklichung nun wirklich nur einem Zweck dient- Und zwar dem, ihren Geldbeutel zu füllen. Wie Sie an dieser Stelle vielleicht bereits gemerkt haben, bin ich ein sehr realistischer Mensch. Als die Ärzte mir vor drei Jahren sagten, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nie wieder auch nur den kleinsten Lichtschimmer erblicken werde, war mein erster Gedanke: So. Das war’s dann wohl jetzt. War schön auf dieser Erde. Denn, seien wir mal ehrlich, ein Leben in Abhängigkeit von irgendwelchen Pflegern, die mich auf Schritt und Tritt verfolgen und darauf achten, dass ich beim spazieren gehen nicht aus Versehen in den regen Verkehr abdrifte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Dann lieber das große, dunkle Nichts. Dort gab es zumindest keine Tischkanten, an denen ich mir das Schienbein stoßen konnte. Ich lag also in meinem Krankenhausbett, umgeben von meiner aufgelösten Familie, und plante meinen Tod. Ja, ich weiß, das klingt jetzt egoistisch. Aber ich vertrete die feste Meinung, dass der Tod eine ziemlich persönliche Sache ist. Wenn nicht sogar die Persönlichste von allen. Da sollte man Leuten nicht dazwischenfunken. In den nächsten Wochen konzentrierte ich also all meine Energie aufs Sterben. Ich wanderte durch das Krankenhaus, in der Hoffnung, eine plötzliche Treppe würde mir den Garaus machen. Fehlanzeige. Später erfuhr ich, dass es sich um ein „barrierefreies Krankenhaus“ handelte. Was bedeutete, dass alle Treppenhäuser gut abgeriegelt waren und nur in Notfällen freigegeben wurden. Also dachte ich mir einen neuen Plan aus. Ich führte meine Expedition durchs Krankenhaus fort und durchsuchte mit den Händen die Regale, bis ich eines voller unterschiedlicher Flaschen fand. Ich öffnete eine Flasche nach der anderen und trank sie auf Ex leer. In jeder davon (und ich schwöre, ich durchsuchte verschiedene Räume und unterschiedliche Regale) befand sich Limo. Und noch nicht einmal die Gute. Sie schmeckte viel zu süß und extrem künstlich, wie Kloreiniger, in den man ein ganzes Paket Zucker gekippt hatte. Und der Kloreiniger hätte mich zumindest umgebracht. So ging das eine ganze Weile. Und mir wurde klar, dass ich nicht sterben kann.

© Sina Brooren 2023-07-20

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Komisch
Hashtags