von Alexander Bock
Druckausgleich. Ich liebe die Natur. Beim Tauchen vergesse ich immer alle Sorgen. Manche würden mich introvertiert nennen, aber wer braucht nicht hin und wieder Zeit für sich? Ich hasse es, unter Menschen zu sein, ihre vielen Meinungen und Stimmen. Ein Schwarm gelber Doktorfische – Zebrasoma flavescens – schwimmt um mich herum. Ihre Augen sind intensiv dunkel im Vergleich zu ihren leuchtenden Körpern. Die Sonnenstrahlen werden durch die blaue Wasseroberfläche gebrochen. Ich brauchte mal eine Auszeit vom Alltag, deshalb der Urlaub. In der Nutrifizierungsstation, in der ich arbeite, bin ich für Kundenrückfragen zuständig. Den ganzen Tag höre ich nichts anderes als Forderungen und Kritik. Oder auch ein Klassiker: „Silea kannst du kurz…“ West-Amerika ist grundsätzlich so hektisch, deshalb die Insel. Sehr tropisch hier. Die bunten Korallenriffe alle gefüllt mit grellen Fischen. Mein Neopren ist meine zweite Haut. Im Mund halte ich das Atmungsgerät. Es filtert Sauerstoff aus dem Meerwasser – wie Kiemen. Allerdings ist der Akku bald aufgebraucht. Traurig über diese Tatsache und darüber, dass mein Flug schon um 16 Uhr geht, schwimme ich nach oben. Ich tauche langsam auf. Wahnsinniger Lärm. Ein großes Flugschiff der „Medical Services“ fliegt nahe der Wasseroberfläche über mich hinweg. Auch hier findet Gesundheit keine Grenzen.
„Sprachprotokoll zu den Notfalluntersuchungen M-20.15.4 auf den Pazifik-Inseln. Es spricht Prof. Dr. Myra Faye Williams. Ankunft 15:27 Uhr.“
Die Luke des Flugschiffes öffnet.
Schutzmaske mit Mikrofon. Weißer undurchlässiger Kittel. Ein großes Schild mit „Medical Services“ auf der Brust. Plastikhandschuhe. Abgeschlossene Brillengläser. Die roten Haare streng nach hinten gebunden. Dr. Myra gibt mit Nicken ein Zeichen. Für ihren heutigen Einsatz hatte sie sogar die hohen Schuhe zu Hause gelassen.
Eine Kolonie tausender, weißer, kleiner, verhüllter Forscherinnen und Forscher stürzen los. Ein Notfalleinsatz. Beim Austreten aus dem Flugschiff rennt jede Person durch einen dünnen Ethanol-Nebel.
„15:29 Uhr. Notwendige Desinfektionen und Impfungen durchgeführt. Wir streben das Ziel an. Geplante Ankunft am Fundort: 15:46 Uhr.“
Die Massen an Menschen der „Medical Services“ strömen in diverse weiße Vans, die sofort losfahren Richtung tropischer Wald. Jeder Forscher wurde vor der Reise mit 14 verschiedenen Impfstoffen immunisiert, wie vorgeschrieben. Gesundheit geht vor. Blaulicht. Jedes Tempolimit überschritten. Zunächst rasen sie noch über Straßen, bald schon sind sie Offroad. Sie erreichen schließlich einen abgesperrten Bereich. Verschiedenes, weiß bekleidetes Hilfspersonal hält einheimische Bewohner vom abgesperrten Bereich fern. Ärzte rennen. Als Dr. Myra aus dem Van tritt, machen alle Platz. Angst vor der Gesundheitschefin der „Medical Services“? Eine nasse Landschaft aus Moos. Sie blickt kalt zu Boden.
„15:44 Uhr. Ankunft am Fundort.“
© Alexander Bock 2022-08-22