1 – Groß Globsow

Das laute Surren einer Fliege holt Gundi aus dem Schlaf. Sie schreckt hoch und stößt sich mit viel Schwung den Kopf am Tisch, unter dem sie liegt. Schmerzerfüllt stöhnt sie auf und sinkt sofort wieder zurück auf den Boden. »Scheiße, irgendwann bringen mich diese Tischkanten noch um!«
Gundi starrt wütend den Tisch über ihr an. Ursprünglich hatte sie eine Schraube an diesem festziehen wollen, wurde dann aber von ihrem Handy abgelenkt. Es waren die seltsamsten Meldungen von eigentlich seriösen Nachrichtenseiten. 
„Hochhaus eingestürzt – alle Bewohner haben überlebt“, lautete es und „Schule abgebrannt, niemand verletzt“. Bei der Anzeige „Soldaten auf allen Seiten erstaunt – trotz heftiger Gefechte, keine Toten“ war sie sich sicher, es müsse sich um eine Falschmeldung handeln.
Das erneute Surren bringt Gundi wieder ins Hier und Jetzt und Gundi schlägt auf die kleine Fliege, die sie aufgeweckt hat. Davon zeigt diese sich unbeeindruckt und fliegt davon. Schulterzuckend kriecht Gundi unter dem Tisch hervor und versucht beim Anblick des auf sie wartenden Abwasches nicht gleich noch ein zweites Mal umzukippen. 
Immer noch ein bisschen verschlafen streckt sich Gundi in alle Richtungen und stößt dabei mit der Faust wieder gegen die Deckenlampe, die daraufhin gefährlich hin und her pendelt. Gundi flucht. Vielleicht sollte sie diese doch einmal durch eine höher hängende austauschen. Sie setzt es auf ihre innere Liste, die bis jetzt lautet: »Babygeschenk für Gabi einpacken, Rasen mähen, Fensterläden neu streichen, Hauswand neu streichen (beim letzten Versuch ist die Farbe größtenteils auf dem weißen Putz darunter gelandet) und einen richtigen Wäscheständer kaufen«.
Gabi ist Gundis ältere Schwester, die jederzeit ein Baby erwartet. Gundi ist deswegen schon aufgeregt. Jeden Moment könnte der Anruf kommen. Doch bis jetzt bleibt das Handy stumm. 
Als Gundi das Fenster öffnet, weht ihr warme Nachmittagsluft entgegen. Ihr Blick wandert über die kleinen Häuschen der ebenfalls kleinen Stadt Groß Globsow. Groß Globsow ist eine dieser Städte, durch die Berliner mit dem Auto fahren, wenn sie in den Urlaub wollen und dann wieder vergessen. Denn abgesehen von ein paar Läden, einem Bauernmuseum und einem verhältnismäßig großen Friedhof gibt es in dem Ort nicht viel, weshalb Gundi für ihre Ausbildung eine Stunde in die Hauptstadt pendeln muss. Doch diesen Weg nimmt sie in Kauf, schließlich sind die Mieten billig und Gundi wollte unbedingt nach Berlin – oder zumindest in die Nähe davon. Gegenüber liegt in einem Erdgeschossfenster des hässlichen Mietshauses ein Kissen. Es ist das Zeichen von Frau Lehmann, dass es ihr gut geht.
Eine in schwarz gekleidete Person zieht Gundis Aufmerksamkeit auf sich. Sie läuft geradewegs auf Gundis Haustüre zu. Das muss das Paket sein!, denkt Gundi und rennt in den Flur, dessen Dielen sich unter ihren Füßen biegen. Geübt umgeht sie die Kleidung, Schuhe und wichtige Dokumente, die überall verstreut liegen. Hinter ihr knackt es, aber Gundi schenkt dem Geräusch keine Aufmerksamkeit, schließlich ächzt das alte Haus ständig. Wenn sie sich doch einmal umgedreht hätte, hätte sie die weiterhin pendelnde Deckenlampe gesehen, die nur noch an einem dünnen Kabel hängt.