Ich drehe eine dritte Runde durch die Wartehalle und drücke mich an all den Chauffeuren vorbei. Doch auf keinem ihrer Schilder steht mein Name. Wo ist der verdammte Fahrer? Ich wurde noch nie vergessen!
Ich setze mich auf eine Bank und will meinen Agenten anrufen, doch meine Sim ist in China nutzlos und es gibt kein offenes W-Lan. Nach einer halben Stunde ist das Terminal leer. Es ist zwar zwei Uhr morgens, aber das hätte ich von Shanghai nicht erwartet. Die polierten Bodenplatten reflektieren die grellen Deckenspots wie nasser Asphalt die Morgensonne. Ich friere.
„Hee!“, sagt eine Männerstimme. Ich sehe auf und da steht ein Typ mit blonden Locken, Lipgloss und übertrieben viel Mascara. Er trägt ein bauchfreies Leder-Oberteil und eine enge, schwarze Jeans. Die Visage kenne ich doch! Der Typ bin ich.
Das Foto senkt sich und ein Mann mit rundem Gesicht blinzelt mich an. Klar, Bilder sagen mehr als Namen. Wie konnte ich das übersehen? Ich nicke. Der Mann greift meine Tasche und schlurft Richtung Ausgang. Erleichtert, dass ich nicht vergessen wurde, folge ich ihm. Nach einem Monat in der Einöde ist er mein erster Kontakt. Ich frage ihn, wie er heißt. Doch er winkt ab – kein Interesse, sich auszutauschen oder kein Wort Englisch oder beides.
In der Tiefgarage steigen wir in einen Kleinbus. Wir fahren auf leeren, fünfspurigen Highways durch Beton und Glas. Die Leuchtreklamen werden immer größer und bunter. Erst auf einer Brücke sehe ich ein Stück Ferne. Soweit das Auge reicht keilen Hochhaus-Silhouetten in die Morgenröte. Der Puls der Großstadt kribbelt unter meiner Haut. Ich freu mich darauf, wieder unter Menschen zu kommen und rieche Abenteuer.
Nach einer Stunde hält der Fahrer vor einer gepflasterten Auffahrt und steigt aus. Draußen drückt die Wärme der tropischen Nacht. Der Weg führt zu einem Rundell, das eine kleine Grünfläche mit einer Handvoll Bäumen einschließt. Darum reihen sich fünf Wohntürme.
Wir betreten den zweiten und fahren in den 22. Stock. Der Fahrer öffnet ein Apartment und wir stehen in einem großen Wohnzimmer. Vor uns ein Tisch mit sechs Stühlen, dann eine lange Couch und ein Fernseher, dahinter ein breites Fenster.
„Baywatch-Room“, sagt er, zeigt auf einen Gang, der nach links abgeht, gibt mir den Schlüssel und geht. In dem kleinen Zimmer ohne Fenster stehen zwei Einzelbetten. Auf dem Frischbezogenen liegt ein Brief:
„Max: Welcome! (: This is your Bed. We are in Party!! See u 2 morrow.Kiss! Your new crazy roommates (:”
Bei dem Zimmer werde ich die Nächte auch in Clubs verbringen, denke ich, und durchstöbere Küche und Kühlschrank. Light-Majo und Sojasprossen auf Toast machen ein Sandwich. Damit und einer Dose Bier lehne ich mich auf das Fensterbrett im Wohnzimmer. Die Luft ist so schmutzig, dass ich sie schmecke. Aber alles ist besser als Einsamkeit, rufe ich mir in Erinnerung und kühle meine Stirn mit der Dose.
© Moritz Sacid Polixa 2021-08-09