1 Irgendwo anfangen

Claudia Dabringer

von Claudia Dabringer

Story

Während meiner 18jährigen Partnerschaft habe ich mehr als einmal gesagt: „Wenn ich es mit diesem Mann nicht schaffe, schaffe ich es mit keinem. Und sollte es trotzdem schiefgehen, wird das mein letzter Mann gewesen sein.“ Mit knapp 50 trennte ich mich von diesem Mann. Und machte die Erfahrung, dass mein Spiegelbild mich betrogen hatte. Denn die verbitterte, erschöpfte Frau, als die ich mich empfand, war trotz allem noch Ziel von männlicher Bewunderung. Das tat gut, weil mein Selbstbewusstsein schwer gegen den Strich gebürstet war nach der Trennung. Ich hörte Aussagen wie „Liebe meines Lebens“ ebenso wie „Was willst Du mit einem Sack Kartoffel, wenn Du mich haben kannst?“ und „Du bist genau, was ich immer wollte.“ Und ich gebe zu, dass mir das gefallen hat. Trotzdem flüsterte mir in Stunden der Ruhe und Stille eine Stimme in den Kopf: „Was will ich? Wer will ich sein?“

Ich wollte frei sein. Frei, ohne Kompromisse machen zu müssen. Frei, um mich entwickeln zu können. Denn dass ich mich entwickeln würde müssen, war mir klar. Nur wohin? Ich hatte keine erstrebenswerten Vorbilder für eine Single-Frau meines Alters. Nachdem ich die Anfangssequenz des Films „Giulias Verschwinden“ gesehen hatte, war mir klar: Viele Frauen um die Lebensmitte sind sehr unsichtbar im Alltag. In den Öffis und auf der Straße schärfte ich meine Wahrnehmung und stellte fest, dass manche Frauen kaum einschätzbar waren aufgrund ihres Äußeren. Ich sah sehr viel Beige und Schwarz, manchmal auch Grau, vor allem in den Gesichtern. An den häufig kurz geschnittenen Haaren klebte vielfach irgendeine Farbe, die weder den Typ der Frau unterstrich, noch eine friedliche Koexistenz mit der Mimik führte. Viele Frauen schienen in einer Art Zwischenwelt gefangen zu sein. Auf dem Kopf die Jugendlichkeit, beim Rest eine Mischung aus Mainstream-Funktionskleidung und Migräne-Dauerkrise. Glücklichsein schaute für mich persönlich anders aus. Und ich wollte unter allen Umständen nicht nur frei, sondern auch glücklich sein.

Mein Friseur, dem ich angekündigt hatte, dass mit meinem 50. Geburtstag die langen Haare fallen und gegen einen adretten Kurzhaarschnitt eingetauscht würden, fiel aus allen Wolken, als ich ihm eröffnete, dass ich den Plan geändert hatte. Statt kurz sollte es länger werden, die ewig währende Frage nach einer frischen Haarfarbe verbat ich mir ein für allemal. Ich wollte lange, graue Haare tragen. Und Lippenstift. Roten Lippenstift. Irgendwo musste ich ja anfangen.

© Claudia Dabringer 2022-09-15

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