Du träumst wieder schlecht.
Ich kann es daran sehen, wie du dich unter der Decke einrollst und sie um dich ziehst, als wäre sie deine Fledermausflügel. Selbst im Schlaf kneifst du die Augen fest zu und findest keine Ruhe. Deine Alpträume jagen dich, werden für dich zur Wirklichkeit, aber du machst dich nur noch kleiner und hast Angst, fast so viel Angst wie sonst vor der Realität.
Das bringt doch nichts, Mensch, verstehst du das nicht? Ich glaube, du weißt es eigentlich. Du kannst es nur nicht annehmen. Du brauchst deine Hoffnungen, wie wir alle. Im Nebenzimmer klirrt es, ein anderer Mensch ist aufgewacht. Sie ist fast so alt wie du und schläft genauso schlecht. Aber du bist gerade wichtiger, schließlich bist du mein Mensch. Auch wenn sie nebenan gerade weint.
Dieses Haus ist ein seltsames. Ihr seid eine Familie, aber ihr behandelt euch wie Fremde. Natürlich, ihr begrüßt euch und esst zusammen an einem Tisch, wo ich nicht drauf darf. Ich sitze dann einfach auf deinem Schoß und höre zu, wie ihr schweigend esst. Manchmal erzählt jemand von der Arbeit, von der Schule, von den Nachrichten, aber es ist alles einsilbig und zerbrechlich, als würdet ihr euch nicht trauen, etwas zu sagen. Danach gehst du oft einfach in dein Zimmer und verkriechst dich, so wie jetzt im Schlaf.
Es ist in Ordnung. Ich bin da, egal wie viel Angst du hast. Irgendwo auf deinem Deckenkokon gibt es immer einen Platz für mich. Ich bin mir nicht sicher, ob du wirklich weißt, dass ich da bin, aber du spürst es. Du wirst ruhiger. Manche Leute sagen, ich könnte schlechte Träume sehen und verjagen. Das ist Unsinn, so wie ich das mache, kann das jeder. So machen das Mütter, wenn ihre Kinder schlecht träumen. Manche sagen auch, ich würde Unglück bringen, vor allem denen, die mir nahestehen. Aber seit ich bei dir bin, kannst du wieder schlafen, zumindest genug, dass du nicht mehr den ganzen Tag zittrig bist und dich bei jedem Geräusch umdrehst. So war es früher, bevor ich bei euch war, bevor du mein Mensch wurdest. Aber jetzt bin ich ja da.
Deine Hände suchen nach mir. Du bist wach geworden. Deine hellen Augen schauen mich an, als wären wir beide die einzigen Lebewesen auf dieser Welt. Du kraulst mich ein bisschen grob, ziehst an meinem Fell. Ich lege dir nur eine Pfote auf die Hand, ohne Krallen. Du wirst sanfter, lächelst. Inzwischen verstehst du mich, obwohl wir nicht die gleiche Sprache sprechen. Das braucht es auch gar nicht. Du weinst nicht mehr.
© Laura Verena Stein 2022-08-31