1. Scheinwelt oder Realität?

Viktoria_Peony

von Viktoria_Peony

Story

Ich war Anfang dreißig, also eigentlich noch neu in der Erwachsenenwelt. Ich war ein unfreiwilliger verbitterter Single, wie so manch anderer auch. Mein Freund, den ich seit meiner Kindheit kannte, mit dem ich bereits in der Sandkiste gespielt hatte, der einzige Mensch, der wirklich alles von mir wusste. Der mir meinen Toast immer so zubereitete wie ich ihn am liebsten aß, der Mensch der mir den Rücken wie kein anderer genau an der Stelle an der es mir immer weh tat massierte, der Mensch welcher Realityshows aufdrehte und mit mir guckte, wenn ich einen schlechten Tag hatte, um mit mir über anderen Leute zu lachen. Allein bei diesem Gedanken versetzte es mir einen Stich in der Brust. Die Tränen liefen mir in strömenden Bächen über meine Wangen, ich musste mich beruhigen, sonst war mein frisch aufgetragenes Make-up zu Gänze ruiniert, und die Zeit es neu aufzutragen hatte ich jetzt nicht. Steve, mein Freund aus Kindertagen, von dem ich nie gedacht hätte, dass er in der Lage wäre mich so zu verletzten und zu verraten. Er war mit seiner Assistentin, ausgerechnet mit ihr, durchgebrannt, einfach weg, auf und davon, auf den Malediven. Wie eine besessene stalkte ich ihn, und verfolgte jeden seiner Posts und Storys auf seinem Social-Media-Profil. Ich brachte es einfach nicht fertig, ihn aus meinem Leben zu tilgen, den Mann, mit dem ich alt werden wollte, mit dem ich mir vorgestellt hatte, eines Tages auf der Holzbank vor unserem Haus zu verweilen, während wir dem Sonnenuntergang entgegenblickten und dabei unseren Enkelkindern beim Fangenspielen zuschauten. Ich hatte mir unser gemeinsames Leben längst ausgemalt. Er hatte mir in unserer Jugend von seinem spärlichen Taschengeld einen Ring aus dem Automaten geschenkt, er hatte stets darauf bestanden mir meinen Rucksack nach Hause zu getragen, wenn ich wieder einmal zu viele Bücher zum Lernen eingepackt hatte. Konnte das wirklich war sein oder war ich in einem dieser miesen Träume, die ich manchmal hatte, plötzlich gefangen? Wie konnte das nur passieren? Ohne jegliche Vorwarnung war er einfach verschwunden. Meine Welt brach zusammen als ich an diesem besagten Nachmittag unsere gemeinsame Wohnung, die wir liebevoll eingerichtet hatten, ohne seine Sachen vorfand. Lediglich einen Zettel mit: „Ich kann nicht mehr, ich hoffe, du verzeihst mir eines Tages, Kuss!“, war neben meinen Erinnerungen alles, was mir von ihm geblieben war. Warum nur? Ich hatte ihn anschließend zig Male versucht anzurufen, aber immer erreichte ich nur seine Mailbox, ich hatte sie bestimmt schon 20 Mal besprochen, wie eine Idiotin hatte ich ihn angefleht, zu mir zurückzukommen, und mit mir zu reden, denn ich brauchte meinen Freund und meinen Vertrauten. Auf seinem Social-Media-Profil fand ich Tage später Fotos, die auf den Malediven aufgenommen worden waren, auf diesen war er mit dieser Maja zu sehen, es waren Hochzeitsfotos. Mir wurde kotzübel, das traf mich wie ein Schlag in die Magengrube, ich fühlte mich unverstanden und verdammt einsam, bisher hatte ich hauptsächlich Steve alle meine Sorgen anvertraut. Für mich war er immer mein bester Freund gewesen. Was war nur schiefgelaufen? Wieso redete er nicht mehr mit mir? Wieso wusste ich nichts über diese viel zu dünne, sandfarbene Maja mit ihren unglaublich langen Beinen und den satten grünen Augen? Wer war sie? Und wie lange ging das bereits mit den beiden schon? So viele Jahre waren wir ein Paar gewesen, mir hatte er keinen Heiratsantrag gemacht, das schmerzte.

© Viktoria_Peony 2022-06-15

Hashtags