von Neva
Ich kuschele mich tiefer in die Kissen. Regen prasselt gegen die Fensterscheiben. Ich blättere eine Seite in dem Liebesroman um. Romantik bedeutet mir viel. Es gefällt mir, in jemandes Nähe zu sein. Da ist nur diese eine Einschränkung: Sexualität. Weder verstehe ich, warum sie anderen Personen wichtig ist, noch habe ich mich in dieser Hinsicht je selbst ausprobiert. Warum auch, wenn ich nicht möchte? Ich bin gesund, durchschnittlich glücklich und sicher. Ich bin asexuell.
Wenn ich diesen Begriff in einem Gespräch fallenlasse, steht den meisten Personen das Fragezeichen ins Gesicht geschrieben. In den Medien und in Büchern findet Asexualität kaum Repräsentation. Sicher, es ist in den letzten Jahren besser geworden, aber die Kommentare bleiben.
Du hast nicht den Richtigen gefunden. Das ist eine Phase. Vielleicht ist es etwas Gesundheitliches. Das wird schon. Bist du dir ganz sicher?
Solche Bemerkungen höre ich alle paar Wochen. Es ist, als wäre meine sexuelle Orientierung schwierig zu verstehen. Für mich heißt meine Asexualität, dass ich kein Interesse an sexuellen Handllungen habe. So einfach ist das. Aber bin ich mir wirklich ganz sicher? Was wäre, wenn ich es ausprobieren müsste, um mich dafür zu interessieren? Nein. Gegenfrage: Würde jemand Heterosexualität anzweifeln? Würde jemand eine Frau fragen, warum sie einen Mann begehrt?
Vielleicht verlange ich zu viel von den Menschen, wenn ich um ihr Verständnis ringe. Ich lache in mich hinein. Wenn ich meine Ansprüche an Gesprächspartner weiter senke, rede ich eines Tages mit Steinen. Egal, was ich über mich erkläre, es bleibt unverstanden. Was ich erzähle, verhallt, ohne gehört zu werden. Entweder ist meine Stimme zu leise oder die Meinung anderer Personen zu laut. Wann wird die Welt verstehen, wer ich bin? Wann es akzeptieren? Ich verliebe mich, doch ich begehre nicht.
Bevor ich die Tränen aufhalten kann, fällt die erste. Ich schlage das Buch zu und werfe es von mir weg. Ich werde nie, niemals, so sein wie die Hauptfiguren in den Liebesromanen. Verstanden, unterstützt, geliebt. Ist es zu viel verlangt, mir dasselbe zu wünschen? Die einzige Geschichte, in der ich mich wiederfinde, ist jene, die ich selbst schreibe. Ich rappele mich auf und tappe zum Tisch. Dort greife ich nach meinem Laptop, mit dem ich mich auf die Couch setze. Tief durchatmen. Zum hundertsten Mal schalte ich den Computer an und rufe das Schreibprogramm auf. Das Skript, an dem ich feile, hat inzwischen dutzende Seiten.
Ich mache einen Absatz. Ein neues Kapitel. Meine Hände zittern. Ein neues Kapitel von damals. Der erste Kuss und ich.
© Neva 2021-06-28