von Alina Böhler
Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so inspirierend ist. Oder besser gesagt, ich habe noch nie jemanden getroffen, der mich fĂŒr so inspirierend hĂ€lt. Als ehemalige Lehrerin muss ich jemanden inspiriert haben, aber niemand hat mir das je gesagt. Teenager sagen dir so etwas nicht. Suzy hat es getan. Vielleicht mag ich sie deshalb so gern. Sie motiviert mich dazu, die inspirierenste Version meiner selbst zu sein. Ich erzĂ€hlte Suzy bereits bei unserem ersten Treffen von meinem Buch. Ich kann mich gut erinnern, wie wir in einer dĂŒsteren Bar saĂen, nicht weit vom Mercado Central entfernt. Es hatte noch immer 30 Grad, obwohl es bald Mitternacht war. Sie hat mir erzĂ€hlt, was sie liest und zufĂ€llig habe ich das auch gelesen. Es ist schön jemanden zu treffen, der denselben BĂŒchergeschmack hat. Wir haben den halben Abend ĂŒber BĂŒcher gesprochen und ich konnte nicht anders, als ihr von meinem Buch zu erzĂ€hlen. Ich war selbst ĂŒberrascht darĂŒber, denn ich hatte noch nicht einmal meinem Bruder von meinem Buch erzĂ€hlt. Und er ist einer der Hauptpersonen. Vielleicht habe ich es auch genau deshalb nicht getan. Meiner Mutter habe ich als einzige von Anfang an erzĂ€hlt, dass ich ein Buch ĂŒber unsere Familie schreibe. Sie war so stolz und so aufgeregt. Ich saĂ in ihrem Wohnzimmer auf ihrem roten Lieblingslesesessel und erwĂ€hnte das ganz beilĂ€ufig. Sie hat alles stehen und liegen lassen und mich mit groĂen Augen angesehen. So lange war sie gespannt auf mein Buch. Im Nachhinein wĂŒnschte ich, ich hĂ€tte es ihr niemals erzĂ€hlt. Und vor allem wĂŒnschte ich, sie hĂ€tte es niemals gelesen. Wie dem auch sei, Suzy habe ich es gleich erzĂ€hlt. Das war einfach. Sie kennt niemanden aus meiner Geschichte, sie weiĂ nicht was vorgefallen ist und sie kann keine Unwahrheiten entdecken. Sie studierte Journalismus an einer bekannten amerikanischen UniversitĂ€t, von der ich noch nie gehört hatte. Ich habe den Namen natĂŒrlich vergessen aber ich kann mich erinnern, wie ich nickte, als sie mir davon erzĂ€hlte, als ob ich genau wĂŒsste, wo sie ist. Wir sprachen weiter ĂŒber BĂŒcher, Serien und die Vereinigten Staaten. Suzy kommt aus Texas. Als sie mir das erzĂ€hlte, stellte ich mir vor, wie sie auf einer Ranch tanzt mit einem beigen Cowboyhut und einer rot-karierten Bluse. Ich sah ihre Cowboy-boots vor meinem inneren Auge und hörte die Country Musik. Ich stellte mir sogar vor, wie ein Mann Löffel an seine FuĂsohlen schlug, um Musik zu machen. Als sie mir erzĂ€hlte, ihr Vater sei aus Mexiko, sah ich dasselbe Bild vor mir, nur mit einer Maria-chi Band in der Ecke. Was fĂŒr ein dummes Vorurteil, dachte ich mir und schĂŒttelte das alberne Bild aus meinem Kopf. Ich versuchte, Suzys Geschichte zu folgen. Sie sprach noch immer ĂŒber Texas, glaube ich. Suzy nahm einen Schluck von ihrem Aperol Spritz und erzĂ€hlte mir, wie sie in Texas von einer Qualle gestochen wurde. Ich war ĂŒberrascht, dass Texas am Meer liegt, doch ich lieĂ es mir nicht anmerken. Ich sah in Suzys dunkelbraunen Augen und war so stolz, dass sie hier ist. Sie kam nach Europa, um die Liebe zu finden. Oder einen Job. Andererseits, sie kam von den USA. Das klingt nicht nach der atemberaubendsten Reise. Von einem reichen Land ins NĂ€chste zu ziehen, mit der Gewissheit immer nach Hause gehen zu können, ist nicht super inspirierend. Aber auch wenn das kein Material fĂŒr einen Oscar-prĂ€mierten Film liefern kann, gibt Suzy ihr Bestes, eine inspirierende Reise daraus zu machen. Sie sucht einen Grund das Leben zu lieben und sie sucht inspirierende Menschen. So wie mich.
© Alina Böhler 2023-08-20