1. Wie komme ich zu dieser Ehre?

ChristineTschakka

von ChristineTschakka

Story

Ein Wunschkind macht sich auf den Weg. Wir lassen alles testen, was so ĂŒblich ist, und noch ein bisschen mehr. „Dass man es zumindest weiß, wenn es ein extra Chromosom hĂ€tte“, haben wir uns gesagt. „Dass man sich darauf einstellen kann, wie das Leben werden wĂŒrde“, haben wir uns vorgegaukelt. „Dass man ‚entscheiden‘ könnte“, haben andere gesagt. Die Entscheidung stand fest: M kommt, mit welchen extra Features auch immer. Mein Bauch konnte trotz unzĂ€hliger Tests und einer engmaschigen Beobachtung ungehindert dick werden, sich Bilderbuch mĂ€ĂŸig entwickeln, und nach fĂŒnf Monaten wurde ich schon gefragt, wann ich entbinde. Es war gerade einmal Halbzeit. Ich war glĂŒckselig mit meiner Kugel, Mausi war happy mir kleine Luftblasen in den Bauch zu zaubern und war morgens immer schon vor mir wach.

Nach etwa acht Kugelmonaten hat Mausi langsam aufgehört sich zu bewegen. Die Bewegungen nahmen innerhalb von zwei Tagen rapide ab, sodass wir eines schönen Weihnachtsmorgens direkt zur Frauenklinik fuhren. Die Tasche: nicht gepackt. Der Nestbautrieb: nicht ansatzweise ausgelebt. Die BĂŒcher, die ich alle lesen wollte: ungelesen. Bis heute.

„Etwas stimmt nicht“, sagte ich zu Mausis Papa. „Sie reagiert nicht mehr“, sagte ich in der Klinik. Sechs Stunden CTG folgten. Am Ende: der Not-Kaiserschnitt. Rettung in letzter Sekunde, wie die Ärztinnen mir in den Tagen danach mitteilten. Kein Babyschrei, kein Kuscheln, kein Kennenlernen, kein Blickkontakt. Erst einige Stunden spĂ€ter durfte ich meine Tochter sehen. Wie Dornröschen selig schlafend im Inkubator. An allerlei Kabeln angesteckt, unbekannten GerĂ€tschaften im Schlepptau, und SchlĂ€uchen in Kopfhaut, Nase, Mund und Nabelschnur. „Schön ist sie, so schön“, dachte ich mir.

„Herzlichen GlĂŒckwunsch zu Ihrer Tochter. Sie ist jetzt stabil und wird versorgt.“ Diesen Satz werde ich nie vergessen. Und die TrĂ€nen in den Augen der OP-Schwester der Neonatologie ebenso wenig. Da liege ich nun auf der Frauenstation. Mein Kind auf der Neo-Intensiv-Station. Mein dicker Bauch: leer. Vier Tage lang besuchen wir unser Kind, reden ihm gut zu, weinen und lachen gleichzeitig (das geht!), desinfizieren uns, ziehen SchutzausrĂŒstung an, um ja keinen Keim auf die Station zu schleppen. Lange stehen kann ich aufgrund der Bauchoperation nicht. Ich sitze also im Rollstuhl, und meine HĂ€nde sind auf meinem Kind im Inkubator. Vier Tage lang. Vier Tage ohne vollen Körperkontakt. „Wir warten jetzt die Nacht ab, und den nĂ€chsten Tag“, so die Aussage der Ärzte. Vier Tage lang.

Mausis Blut floss im Babybauch innerhalb weniger Tage in meinen Kreislauf, und so erlitt sie sukzessive einen eklatanten Sauerstoffmangel. Es war kurz vor knapp. Zur Geburt war sie leichenblass und konnte unter anderem nur mit einer Höchstdosis Bluttransfusion – sogar ĂŒber den Mund gelöffelt – gerettet werden (Ihr macht einen so wichtigen Job, liebe Ärzte!). Eklatanter Sauerstoffmangel im ganzen Körper fĂŒhrten zur Diagnose: Infantile Zerebralparese. Schwere frĂŒhkindliche HirnschĂ€digung.


© ChristineTschakka 2024-01-20

Genres
Romane & ErzÀhlungen