von Jana Puschmann
Ich fühle mich gut und schlecht. Erzähle ich einer Freundin, dass ich meinen Mann verlassen habe, wir die Scheidung einreichen, fühle ich mich schlecht. Ich will die Scheidung unbedingt, aber da ich die treibende Kraft gewesen bin, schwingt etwas mit – ein Gefühl von Unzulänglichkeit, Schuld. Ich bin die Frau, die ihre Ehe aufgibt.
Ich falle meinem Bruder ins Wort, der etwas von „Eheberatung“ murmelt. Ich weine, wenn meine Mutter mich verständnisvoll in die Arme nimmt. Ich rechtfertige mich vor meinen Freundinnen, wenn sie mich überrascht anschauen. Dass es keine Rechtfertigungen braucht, ich mich nicht wie eine Versagerin fühlen muss, verstehe ich erst viel später. In diesem Moment habe ich etwas nicht geschafft. Diese Empfindungen überfallen mich zwischendurch, wenn ich alleine bin und Zeit habe, nachzudenken. Wenn ich nach der Arbeit im Auto sitze oder morgens unter der Dusche stehe.
In allen anderen Momenten fühle ich mich jedoch grandios. Ich weiß – und das kommt bei mir nicht oft vor –, dass ich eine absolut richtige und absolut überfällige Entscheidung getroffen habe. Ich bereue es nicht und werde es auch nicht bereuen. Ich bereue nur, dass ich mich nicht schon eher befreit habe.
Zu diesen grandiosen Momenten braucht es nicht viel. Ich mache es mir mit den Kindern meiner Schwester auf dem Sofa gemütlich, lese ihnen etwas vor. Ich besuche meine Oma, koche ihr etwas. Ich gehe mit meiner besten Freundin shoppen, danach ins Kino. Ich vermisse ihn nicht eine Sekunde. Und er mich anscheinend auch nicht. Denn es gibt Gott sei Dank keine traurigen Nachrichten per Handy, keine nächtlichen Anrufe, kein spontanes Auftauchen vor meinem Fenster. Da bin ich sehr erleichtert. Er weiß und wusste vielleicht auch im Innersten, dass es mit uns nicht richtig war. Dass wir einander nicht gut getan haben. Dass es so am besten ist.
Nach zehn Tagen habe ich peu à peu alle informiert, die meiner Meinung nach informiert sein müssten. Die Menschen, die mir besonders am Herzen liegen, habe meine Entscheidung nicht ein einziges Mal in Frage gestellt. Viele können mich sehr gut verstehen und sprechen mir Mut zu.
Auf der Arbeit ist ein neuer Kerl. Er hat sich heute Morgen im Büro vorgestellt und in der Kantine neben mir gesessen. Wenn ich mich nicht täusche, hat er dabei meine rechte Hand auf einen möglichen Ring abgesucht. Und ihn nicht gefunden. In diesem Moment muss ich mich daran erinnern, dass ich wieder zu haben bin. Das verleiht mir Flügel, ein jugendliches Kribbeln, Leichtsinn … – bis zum späten Abend, als ich nach ein paar Überstunden leise die Haustür meiner Schwester aufschließe, weil die Kinder schon schlafen. Auf dem Treppenabsatz steht eine Vase mit einer einzelnen roten Rose darin. „Oh nein“, denke ich. Mein Herz wird schwer. Dann entdecke ich den weißen Umschlag mit meinem Namen darauf. Ich will das nicht lesen!
© Jana Puschmann 2022-05-17