von Nic
Die Zeit vergeht. Wir treffen uns zwischen den Welten. Und zwischen den Zeilen. Grenzen schließen und öffnen sich. Doch wir lassen uns nicht mehr los. Unsere Verbindung ist all-täglich und dabei ist sie es nicht. Wir gehen aufeinander zu – beständig und entschlossen, auch wenn wir 1.000 Kilometer voneinander entfernt leben. Wir halten aufrichtigen Blickkontakt. Ausdauernd bewältigen wir ein Hindernis nach dem anderen. Ich lerne deine Sprache, du lernst meine. Bald sprechen wir eine gemeinsame und können uns von unserem treuen Gefährten, dem Übersetzer, verabschieden.
Sternschnuppen am Horizont sind unsere Treffen. Der Weg ist weit, doch ich lerne dein Zuhause kennen und du meines. Ich tauche in deine Geschichte ein, die dich bis heute prägt, und du in meine. Wir wollen verstehen – ich dich und du mich, ich mich und du dich. Gemeinsam und in intensiven Gesprächen kommen wir uns immer wieder auf die Spur. Dann scheuen wir uns nicht und gehen Schritt für Schritt aufeinander zu.
Wir verabreden uns immer wieder auch irgendwo dazwischen, wählen Punkte auf der Landkarte, die für uns beide gut zu erreichen sind: Prag, Dresden, Berlin, auch mal Athen.
In Prag treffen wir uns in der Geschäftigkeit eines trüben Herbsttages. Es ist Abend und es regnet. Die Lichter der Stadt spiegeln sich in den Pfützen, als unsere Busse nur kurz nacheinander am zentralen Busbahnhof eintreffen. Am kommenden Tag, wir lassen uns durch die Gassen der Altstadt treiben, beobachten wir auf der Karlsbrücke ein Paar, das sich von einem Straßenkünstler zeichnen lässt. Ich mag die Idee. Ich will uns festhalten.
An einem heißen Nachmittag im Hochsommer treffen unsere Züge nacheinander am Hauptbahnhof Berlin ein. Gleich am nächsten Morgen ziehen wir los ins Stadtzentrum. An einer Straßenecke in Charlottenburg entdecke ich eine Fotobox. Du bist dabei. Wir werfen die Münzen ein und teilen uns den runden Drehstuhl. Unsere Gesichter aneinanderschmiegend, grinsen wir in die Kamera. Du drückst den Auslöser: 1-2-3, es blitzt, viermal. Wenige Minuten später halten wir den noch feuchten Abzug in Händen. Wir. Viermal. Festgehalten im richtigen Moment. Du freust dich, wie ich mich darüber freuen kann.
Doch ab und an gibt es Phasen, da wird mir die Zeit zwischen unseren Begegnungen lang, es fehlt mir die Kraft, ich grüble schwer. Manchmal geht es so weit, dass ich mich frage, ob es nicht besser ist abzuspringen – wie einst.
Doch jedes Mal weist du mein Zaudern und Zögern in stoischer Ruhe vehement von mir. Du suchst meinen Blick. „Schau mich an!“, forderst du mich auf. Meist weine ich dann und du balancierst mich aus, bis meine Begeisterung wieder zu glühen beginnt, bereit für den nächsten Schritt.
Irgendwann, nach drei langen Jahren, ist es so weit. Ich kann es kaum glauben. Wir stehen uns direkt gegenüber. Jetzt braucht es einzig Mut. Den haben wir.
Übermütig lassen wir unsere Balancierstäbe fallen. Komme, was wolle, wir sind bereit! Wir fassen uns an den Händen und springen …
© Nic 2022-12-10