10 – das Märchenland

Katharina Kopietz

von Katharina Kopietz

Story

„Wie viele Traumländer besucht man denn eigentlich in der Nacht?“, fragte Felix Maji. Sie saßen im Zug, auf dem Weg zur nächsten Traumwelt. „Das ist immer unterschiedlich“, antwortete sie, „Meistens so neun oder elf.“ „So viele?“, wunderte sich Felix. „Na klar. Normalerweise hat man ja auch ganz viele Träume. Aber sie sind wirr und du vergisst die meisten“, sagte Maji. Da hielt der Zug wieder an. „So Kinder“, rief Anna, „passt auf, dass ihr nicht verloren geht!“ *Verloren gehen?* Felix bekam ein bisschen Angst.

Diese verflog allerdings wieder, als Felix durch das Tor trat. Es war ein Märchenwald. Von weitem sah er den Rapunzel Turm. „Kannst du mir helfen?“ Felix erschrak. Hinter ihm stand plötzlich ein kleines Mädchen mit Zöpfchen und einer roten Kapuze, Rotkäppchen. „Ich gehe nicht so gerne in den Wald. Ständig frisst mich der Wolf“, sagte sie und lächelte Felix an. Felix nickte nur verwirrt und begleitete sie in den Wald hinein. „In dem Korb sind diesmal Schokolade und Gummibärchen. Das wird ständig falsch erzählt. Oma hat die Nase voll von Kuchen. Und sie hat auch die Nase voll davon, gefressen zu werden. Mit hohem Alter ist das ganz schön anstrengend.“ Rotkäppchen hörte nicht auf zu erzählen. „Wenn ihr immer gefressen werdet, warum lässt du dich nicht dann gleich vom Jäger begleiten?“, merkte Felix an. „Sonst stimmt ja die Geschichte nicht“.

Irgendwoher erklang plötzlich Gesang. Felix schaute sich um und sah eine Frau umringt von Tieren, die sang. Rotkäppchen wirkte genervt:“Schon wieder diese Waldshow. Beim ersten Mal zuhören ist Schneewittchens Gesang ja schön, aber wenn man das jeden Tag hört, wird es langweilig.“ „Das ist Schneewittchen?“, fragte Felix, „Ich dachte sie wäre viel tiefer im Wald“. „Ach Quatsch“, antwortete Rotkäppchen, „Sie übertreibt maßlos mit den sieben Bergen. Drei kleine Hügel trifft es wohl eher.“ Felix musste lachen. Dieses Märchenland war ein bisschen anders.

„Oh Vorsicht“. Rotkäppchen hielt Felix am Arm fest. „Hier kommt gleich das Kaninchen durch.“ Keine zehn Sekunden später, sprang das weiße Kaninchen aus Alice im Wunderland vorbei. „Ich komme viel zu spät. Ich komme viel zu spät“, hörte man es sagen. „Man muss so sehr aufpassen, wenn man hier spazieren geht“, erzählte Rotkäppchen weiter.

„Hallo Kinder“, sagte eine alte Frau, die neben ihnen aufgetaucht war. Sie lachte und krächzte. „Wollt ihr einen Lebkuchen haben?“ Felix hatte ein bisschen Hunger, aber Rotkäppchen beschwerte sich: „Nicht schon wieder! Du alte Hexe sollst doch nur Hänsel und Gretel anlocken und nicht uns! Komm weiter, bevor sie uns brät.“ Plötzlich stand der Wolf am Wegesrand. „Hallo Rotkäppchen“, sagte er. Sie seufzte: „Hallo Wolf. Eigentlich habe ich heute keine Lust, von dir gefressen zu werden. Naja ich hab wohl keine andere Wahl. Es war schön, dich kennen zu lernen Felix. Auf Wiedersehen.“ Felix konnte sich nicht erinnern, ihr seinen Namen genannt zu haben. Das war ein verrücktes Traumland.

© Katharina Kopietz 2022-08-07

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