10 Der Pranger

Haley Colt

von Haley Colt

Story

Es war ein sonniger Tag in Elsorak, selten für dieses Land und konnte nur bedeuten, dass die Königin guter Laune war. Doch gute Laune war oft gespickt mit dem Beigeschmack des Todes, denn Lucretia hatte soeben erfahren, dass ein Gefängnisinsasse mit einem Tag am Pranger verurteilt wurde. In Scharen waren die verschiedensten Schichten des Volkes zum Hauptplatz aufgebrochen. Bei einer Verurteilung vermieteten die Herrschaften, welche in den Häusern am Hauptplatz wohnten, sogar ihre Balkone, damit die gehobenen Ränge nicht beim Fußvolk sitzen mussten. Es gab Tee und Gebäck, während eine arme Seele am Galgen baumelte oder eine Enthauptung stattfand. Der Pranger war jedoch ein richtiges Spektakel für jedermann. Königin Lucretia saß wie immer am Balkon des Justizpalastes und hatte so den perfekten Überblick. Es war üblich für sie, mit Begleitung zu erscheinen, denn sie ergötzte sich am Anblick von frischem Blut und schmerzverzerrten Gesichtern oftmals so sehr, dass sie regelrecht in Extase geriet und sich oftmals während einer Urteilsvollstreckung in ihre eigens für sie im Justizpalast angefertigten Privatgemächer zurückzog. An diesem Tag war die Mätresse Carmen an ihrer Seite, denn Lucretia bevorzugte weder Herren noch Damen, sondern ließ sich einzig und alleine nur von Schönheit anziehen. Carmen saß jedoch nicht freiwillig neben der Königin, denn diese hatte sie mit einem Bannzauber belegt, der ihren eigenen Willen unterdrückte.

„Siegesmund spricht, was hat der arme Teufel nochmal getan?“, fragte Königin Lucretia. Siegesmund saß wie immer rechts neben ihr und antwortete: „Nun, Euer Majestät, dieser Herr hat in der Gaststätte zum tanzenden Fisch lauthals das Lied „Des Königs Hofnarr“ geträllert und dabei sein Glied entblößt.“ Königin Lucretia, Mätresse Carmen, die Hofdamen sowie die Gäste der Königin brachen in schallendes Gelächter aus. Die Königin fuhr ihrer Mätresse durchs Haar, während sie mit ihrem Mund ganz nah an dessen Lippen kam und flüsterte: „Ihr habt so ein bezauberndes Lachen, meine wunderschöne Carmen. Ihr werdet bestimmt gleich noch mehr zu lachen haben.“ „Bestimmt, Herrin.“, entgegnete Carmen mit einem verlegenen Lächeln.

Der Verurteilte wurde an den Pranger befestigt, während ein Justizbeamter das Urteil nochmals der Menge Kund tat. Alsdann begannen schon die Ersten mit faulen Eiern auf den Mann zu werfen. Von den Balkonen ringsum hagelte es angeschimmeltes Gemüse und Obst. „Er scheint nicht so, als würde ihm das etwas ausmachen. Bringen wir doch etwas Schwung in die Szenerie.“, bedauerte die Königin. Ihr Blick fiel auf eine Dame, die weinend neben dem Pranger stand. Lucretias Augen leuchteten auf einmal hell auf, genauso wie die Augen der besagten Zuschauerin. „Nimm dein Messer und schneide ihm die Zunge heraus.“, war der Gedanke, den die Königin ihr in den Kopf setzte. Lucretia war eine Meisterin der Gedankenkontrolle. Die Dame tat so wie ihr befohlen und schritt auf den Verurteilten zu. „Cäcilia, mein Schatz, was hast du nur? Deine Augen, was ist mit ihnen?“, fragte er erschrocken, denn sie war seine Frau, die ihm nun mit starrem Blick und blau leuchtenden Augen gegenüber stand. Cäcilia öffnete seinen Mund blitzschnell und schnitt sogleich seine Zunge ab. Man weiß nicht was lauter war, das Gelächter der jubelnden Meute oder die Schmerzensschreie des Verspotteten.

© Haley Colt 2024-03-13

Genres
Science Fiction & Fantasy
Stimmung
Abenteuerlich