10 __ Die Kugellagerfabrik

Hermann Karosser

von Hermann Karosser

Story

Entstehungsgeschichte und Entwicklung der Stadt Waldkraiburg hatten es mit sich gebracht, dass Gewerbebetriebe, die einst in Bunkern mitten im Wald entstanden sind, spĂ€ter von Wohnbebauung umschlossen wurden und Anlass zu Konflikten mit der Bevölkerung gaben. Die Kugellagerfabrik Waldkraiburg, kurz KFW, hatte das Problem frĂŒhzeitig erkannt und sofort zugegriffen, als die Stadt GrundstĂŒcke in einem neuen Industriegebiet weit draußen anbot. Dort wuchs sie schnell zu einem der grĂ¶ĂŸten Industriebetriebe der Region heran.

Jens Petersen und Monika Thurner, die beiden Ermittler aus MĂŒhldorf, standen im reprĂ€sentativen Foyer der Firma, wo sie vom Personalchef GĂŒnther Matischitz freundlich empfangen wurden. „Den Herrn Kofler, den kenn‘ ich nur von ein paar ‚FestivitĂ€ten‘ her, an denen er als Ehemaliger teilgenommen hat, dem alljĂ€hrlichen gemeinsamen Volksfestbesuch zum Beispiel. Als ich bei der KFW angefangen hab‘, war er schon im Ruhestand“, beantwortete Matischitz die Frage der Kommissare nach seiner Meinung zum frĂŒheren GeschĂ€ftsfĂŒhrer. „Man sagt ihm nach, dass er Personalentscheidungen sehr rigoros getroffen hat“, fasste Monika Thurner nach, „haben Sie davon auch gehört?“. „Das kann ich ganz pauschal bestĂ€tigen“, antwortete Matischitz vorsichtig, „aber Einzelheiten unterliegen halt dem Datenschutz, das mĂŒssen Sie verstehen“. „Tun wir“, ergriff nun Jens Petersen das Wort, „ich hĂ€tte aber einen Vorschlag: Könnten Sie vielleicht ein paar solche KĂŒndigungen heraussuchen und die Betroffenen bitten, mit uns zu sprechen? Das wĂŒrde uns sehr helfen“. „O.K., das ist machbar. Ich sag Ihnen schnellstmöglich Bescheid, ob jemand dazu bereit ist und, wenn ja, wer“.

Annette Horn war die einzige frĂŒhere Mitarbeiterin der KFW, die sich bereiterklĂ€rte, der Kripo ĂŒber die seltsamen UmstĂ€nde Ihrer KĂŒndigung durch Hermann Kofler zu berichten. Alle anderen lehnten ab, weil sie generell mit der Polizei nichts zu tun haben wollten, weil sie mit der ‚uralten‘ Sache abgeschlossen hatten oder, weil sie nicht preisgeben wollten, dass die KFW aus dem fristlosen Hinauswurf am Ende doch noch einen ‚goldenen Handschlag‘ gemacht hatte.

Horn ist Ingenieurin und war im mittleren Management der KFW beschĂ€ftigt. „Eigentlich weiß ich bis heute nicht, was Kofler an mir auszusetzen hatte. Er hat sich halt grundsĂ€tzlich mit Frauen in FĂŒhrungspositionen schwergetan. Aber das kann es nicht wirklich gewesen sein, denn die Stelle wurde anschließend wieder mit einer Frau besetzt“. „Umso mehr mĂŒssen Sie dann aber doch einen Hass auf die Person Kofler gehabt haben“, hakte Monika Thurner an dieser Stelle nach. Worauf die Ingenieurin schmunzelnd antwortete: „Anfangs habe ich tatsĂ€chlich gedacht, ich bring ihn um, wenn er mir ĂŒber den Weg lĂ€uft. Heute mĂŒsste ich ihm aber fast dankbar sein, denn ich hab‘ einen neuen Job gefunden, in höherer Position und mit deutlich mehr Gehalt. Den meisten anderen Betroffenen erging es Ă€hnlich“.

© Hermann Karosser 2022-04-23