von Sabine Knauf
Mit gesenkten Blick stand ich vor einen Haufen mit verschiedenen Schuhen. Ich sah Damenschuhe, Männerschuhe und dutzende Kinderschuhe oder Babysöckchen. In meinen Inneren breitete sich eine schreckliche Gewissheit aus. Wieder einmal wurde mir klar, dass es noch lange Beweise all der grausamen Taten geben wird. Selbst wenn keine Menschenseele den Mund aufmacht, gibt es dennoch Zeugen, selbst wenn diese nicht reden können. So werden die Grausamkeiten, welche unter der Führung von Adolf Hitler geschehen, niemals vergessen werden. Mein Gedanke entlockte mir ein trauriges Lächeln, schließlich wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass die grausame Diktatur bald der Vergangenheit angehören wird. „Es ist furchtbar die Zahl der Opfer so deutlich vor Augen geführt zu bekommen. Nicht wahr?“ Erschrocken drehte ich mich um, vor mir stand Jacob, dessen Blick betrübt nach vorne gerichtet war. Überrascht starrte ich ihn an, sagen konnte ich kein Wort. Wenn ich ehrlich bin, verwunderte es mich das er, trotz meines Schweigens erahnen konnte, was ich von ihm wissen will. „Ich beobachte seit Tagen, dass du immer zur selben Zeit hier herkommst, deshalb weiß ich inzwischen das du meistens alleine in der Effektenkammer arbeitest. Außerdem habe ich es nicht länger ausgehalten zu wissen, dass du ganz in meiner Nähe bist und ich nicht bei dir sein kann. Deshalb bin ich hier.“ „Es ist gefährlich. Sobald sie dich erwischen wirst du umgebracht. Bitte Jacob. Ich will nicht, das du dein Leben leichtfertig aufs Spiel setzt.“ Er brach in lautes Gelächter aus. Ungläubig beobachtete ich ihn für einige Sekunden, wenigstens dauerte sein Lachanfall nicht allzu lange an. Das, was mein Gesprächspartner als Nächstes zu mir sagte, ist schlimmer gewesen als 1000 Nadeln, die direkt in mein Herz gestochen werden. „Ich habe meinen Tod bereits unterschrieben. Schließlich wollte ich Hitler erschießen. Nur deswegen bin ich politischer Gefangener in einem KZ. Falls du es vergessen hast, kann mein Leben schon heute Abend vorbei sein. Deshalb will ich lieber die wenigen Tage, die ich noch habe bei dir sein, als die Scheiße aus der Latrine schöpfen zu müssen. Tränen traten in meine Augen. Als sei ich eine Marionette bewegte ich mich auf Jacob zu. Die Wärme seines Körpers lullte mich regelrecht ein. Weshalb ich mich glücklich an ihn schmiegte. Das warme Gefühl in meiner Brust wurde zudem verstärkt, als Jacob seine Arme um mich legte. Zufrieden kuschelte ich mich an ihm, plötzlich spürte ich einen leichten Druck an meinem Bauch. Erschrocken sah ich in seine braunen Augen. „Was ist das?“ Wollte ich unsicher von ihm wissen. Seinen Gesichtsausdruck konnte ich nur schwer deuten, weshalb ich ihn weiterhin schüchtern anstarrte. Jacob beantwortete meine Frage, in dem er sein Hemd etwas nach oben zog. Zum Vorschein kam ein roter Schal, den er vor Jahren einmal von mir geschenkt bekommen hat. Wieder ist er es gewesen, der sprach. „Ich wollte nicht das die Nazis ihn mir wegnehmen, immerhin bedeutet mir der Schal sehr viel.“ Überschwänglich umarmte ich Jacob erneut. Meine nächsten Worte waren nicht beabsichtigt und trotzdem meinte ich jedes Einzelne von ihnen ernst. „Ich liebe dich! Selbst wenn der Ort, an dem wir uns wieder getroffen haben, die Hölle auf Erden ist, bin ich glücklich darüber.“ Plötzlich spürte ich seine Lippen auf meinen, weshalb mein Gehirn nicht sofort realisieren konnte, dass wir uns küssen.
© Sabine Knauf 2025-01-28