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Selina Rusche

von Selina Rusche

Story

Das Tuch, das ihm von Jos Nagel zwischen die Lippen gebunden wurde, drückte sich unangenehm in seine Mundwinkel. Näsemann drehte den Kopf, was ihm abermals einen jähen Schmerz bescherte. Vor seinen Augen tanzten helle Punkte, die ihn an Glühwürmchen erinnerten. Neben ihm ebenfalls wieder gefesselt, das Mädchen, das er eben noch befreit hatte.

Der Mann presste sich die Handflächen an die Schläfen und schlug immer wieder auf seinen Kopf ein. „Was sagtest du?”, fragte er, allerdings nicht an Ulrich gewandt, sondern an eine leere Stelle im Raum. „Ja. So machen wir es.” Nun drehte er sich doch zu ihm um. Diese Augen hätte er überall wieder erkannt. Es war der hagere Sieder vom Fest. Nur, dass sein Blick jetzt vollkommen irre war. „Kein Mucks, hörst du?”, zischte dieser, als er ihm den Knebel aus dem Mund nahm. Jos kicherte wie ein kleines Kind. „Eigentlich wäre sie jetzt dran gewesen“, er nickte in Richtung der Kleinen, „hättest du doch nur auf mich gehört. Aber, dann ändern wir eben den Plan.”

Er beugte sich zu Ulrich herunter und löste ihm die Fesseln von den Füßen. „Ich warne dich, wenn du etwas Dummes machst, töte ich die Kleine auf der Stelle.” Zum Beweis drückte er mit seiner Hand die Kehle des Mädchens so fest, dass diese verkrampfte und eine einzelne Träne aus ihrem Auge tropfte.

„Herrgott, ich mache alles, was du willst, aber lass das Kind in Ruhe!” Jos Nagel ließ von dem Kind ab.

„Aufstehen.” Seiner Sache etwas zu sicher, wandte er sich von Ulrich ab und ging aus dem Raum. Er sah auf dem Bett sein Messer liegen. So schnell er konnte, stieß er es mit seinem Fuß hinunter, zu dem Mädchen. Hol Hilfe, flehte sein Blick. Ob sie es verstand, wusste er nicht.

Ulrich folgte dem Verrückten nach unten in den Keller. Überall standen Holzfässer an den Wänden. Zwischen den Fässern – ein kleiner Tisch, zwei Stühle und eine angezündete Kerze, die einzige Lichtquelle des gesamten Raumes. Von irgendwoher spürte er einen Luftzug. Hat er hier auch die Kinder hergebracht?, fragte sich Näsemann und schauderte.

„Bitte setze dich.” Der Sieder zog einen der Stühle zurück und wartete höflich, bis Ulrich sich gesetzt hatte. Dann wurden seine Beine erneut gefesselt, diesmal an den Stuhlbeinen. Er entfernte sich kurz und kam gleich darauf wieder zurück mit einem Teller und einem Löffel in den Händen. In dem Teller befand sich Suppe. „Die hatte ich eigentlich für die Kleine gekocht. Du brauchst wahrscheinlich mehr, aber wir starten erst einmal hiermit. Mach schön den Mund auf.“

„Was ist d…“, weiter kam er nicht, weil bereits der erste Löffel in seinem Mund landete. Es war das widerlichste, was er je gegessen hatte. Es brannte und zog ihm den gesamten Speichel aus den Schleimhäuten. Salz. Jede Menge Salz. Ulrich würgte. „Aber nicht doch. Ich hab mir so große Mühe gegeben, diese Suppe für dich zu kochen.” Jos tupfte ihm mit seinem Ärmel den Mund ab. Als er seine Hand zurückzog, konnte er darunter seltsame rote Flecken erkennen.

Lepra.

© Selina Rusche 2022-12-07

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