von Christian Heyn
Die Früchte sind gefallen. Ich reche Eicheln auf meiner Einfahrt. Diese Aufgabe ist mir angenehm. Der Raum zwischen meinen Schläfen ist völlig leer. Es ist, als würde mein Geist im Laubrechen stecken. Meine Arme und Hände vollführen die Bewegung ganz von selbst, als ein merkwürdiger Laut mich aus diesem Dämmerzustand aufblicken lässt. Mir war, als hätte ich meinen Namen gehört. Ich schleiche zu einer Grenze meines Reiches. Vor dem dichten Flieder bleibe ich stehen, lausche. Als jemand mir einen famosen Tag wünscht. Und die männliche Stimme fährt fort. Man kenne sich noch nicht, obwohl man nun schon lang nebeneinander wohne. Ich gehe noch näher an den Busch, doch sehe ich niemanden durch das dichte Blattwerk. »Guten Tag«, sage ich ins Ungewisse. Man könne sich glücklich schätzen, spricht ein Herr weiter, endlich wieder einen Nachbarn zu haben. Ob ich ein Familienmitglied des Professors sei? »Entschuldigen Sie, ich kann ihnen nicht folgen. Welcher Professor?« Aha, sagt der Unsichtbare, dies würde die Frage bereits beantworten. Und wie ich da so überrascht stehe, dringt eine Geschichte durch den Flieder. Ein Professor lebte einst in meinem Haus. Er sei ein feiner Kerl gewesen, immer aufrecht und gescheit. Allein hätte er in diesem Anwesen gewohnt. Immer habe er am Giebelfenster, da oben, in seinem Schaukelstuhl gesessen. Eines Winters verstarb er im Schlaf. Das sei nun sieben Jahre her. Seine Tochter erbte das Grundstück, doch niemand habe seitdem hier gewohnt. Ob meine Familie und ich zufrieden seien mit dem Kauf. »Ich lebe allein.« Ha, jubelt es von drüben, ich würde alles richtig machen, sagt mein Nachbar. Unsereins, redet er weiter, hätte geheiratet und man könne es nicht mehr ungeschehen machen, zumindest nicht ohne eine beträchtliche Summe zu zerteilen. »Die Ehe wird doch nicht so schlimm sein?« gebe ich zurück, um seine Unbefangenheit zu belohnen. Nun, erklärt er mir, die Ehe wäre wie eine Fahrt auf der Autobahn. Rasch gewöhne man sich an die Geschwindigkeit. Und wenn man nur einen Gang runterschalte, glaube man, man krieche über den Erdball. Ich täte schon recht daran, Junggeselle zu bleiben. Die grüne Wand, unser Nicht-Erblicken, ermutigt mich zu einer offenen Frage. »Hätten sie Lust, auf ein Getränk herüberzukommen?« Natürlich kennt der liebe Herr Nachbar mich erst einige Sekunden. So warte ich seine Antwort ab. Doch nichts kommt durch den Strauch, keine Antwort, keine Regung. »Guter Mann? Sind sie noch da?« Die Stille kriecht in meine Brust. Ist er umgefallen? War meine plötzliche Einladung zu forsch? Mit der Hand schiebe ich einige Zweige weg, nur um auf andere Äste und Blätter zu starren. »Hallo?« Mir sinkt der Mut in die Schuhe und langsam schleichend trete ich rückwärts den Rückzug an. Beinahe stolpere ich über einen Haufen Eicheln. Dann eile ich ins Haus. Meine Gedanken drehen sich im Kreis, während ich die Wendeltreppe des Turms besteige. Oben angekommen blicke ich scheu zum Nachbargrundstück. Das Licht in zwei Zimmern brennt. Mehr kann ich von hier oben nicht ausmachen.
© Christian Heyn 2023-08-18