von Elif
Fest in meiner Hand hielt ich Hugos Tatze, achtete sorgsam darauf, sie bloß nicht loszulassen. Ich hätte Hugo sogar gern in den Arm genommen, aber Papa hielt meine andere Hand eisern umklammert. Nicht, dass ich Hugo aus Versehen losließ. Er würde schwer zu finden sein, vielleicht sogar überhaupt nicht. Dieser Gedanke flößte mir mehr Angst ein, als dieser dunkle Wald und brachte mich dazu, seine Tatze noch fester zu halten, auch wenn Mama neben mir vergeblich versuchte meine andere Hand zu nehmen. Ich hatte doch nicht 10 Hände! Und Hugo loszulassen, in diesem Wald, in der Nacht dazu, kam nicht infrage.
Für alle, die in dieser Gruppe mit uns durch die Wildnis liefen – und auch für alle anderen – war Hugo nur ein gewöhnlicher Teddybär, und es gab mir einen auch nur winzigen, Gefühl der Stärke, zu wissen, dass sie sich irrten und ich es besser wusste. Und Stärke könnte ich jetzt gut gebrauchen, oder? Das „oder“ hallte noch etwas länger als sonst in meinem Kopf oder, oder, oder? und auch alle anderen Gedanken fühlten sich träge und dumpf an. Ich fühlte auch, wie die Müdigkeit gemischt mit den letzten verbliebenen Überresten Schlaf langsam über mich herfiel. Wie lange liefen wir schon? Egal, meine Beine wollten jedenfalls nicht mehr. Ich blieb stehen, schaute zu Papa auf. Dieser hob mich ohne Worte hoch, ich legte meinen Kopf an seine Schulter. Ein barscher Mann hatte uns eindringlich davor abgeraten zu reden, mucksmäuschenstill sollten wir sein. Warum sich die anderen Kinder, die lautstark weinten und um sich herum traten, sich nicht daran hielten, war mir ein Rätsel.
Von oben bekam ich einen besseren Überblick auf all die Menschen. Sie trugen schwere Rucksäcke wie wir oder einfache Müllsäcke, ihre Rücken waren leicht gebeult, damit sie sich vor dem nieselnden Regen schützen konnten, ihre Augen teils leer, teils glühend. Ich erhaschte einen Blick in die Augen von Papa, nur um zu schauen, ob er auch so einen verlorenen Eindruck machte. Aber nein, er gehörte definitiv zu dem Team mit den glühenden Augen.
Die anderen Eltern versuchten ihre schreienden Babys verzweifelt mit allen Mitteln zum Schweigen zu bringen. Die etwas älteren Kinder liefen merkwürdig stumm neben ihnen her. Ich grub meinen Kopf tiefer an Papas Schulter. Wussten die anderen Kinder denn nicht, dass wir nach dort gingen?
Auch Hugo plauderte ohne Punkt und Komma. Wann sind wir endlich da? Wo ist das Schiff? Wie weit noch??? „Pschtt“, wisperte ich glucksend, „Leise, Hugo“. Dann drückte ich ihn fest an mich, während meine Augen langsam im Takt mit Papas Schritten zugingen, bis alle nächtlichen Geräusche des Waldes vom Schlaf verschluckt wurden…
„Aber er ist doch erst 5 Jahre alt!“
„Nein, ihr habt nur für 2 Plätze bezahlt.“
„Aber er ist doch erst 5! Er braucht keinen Platz, er sitzt auf meinem Schoß!“
„Wir haben nicht alle Zeit der Welt, Kumpel. Einer muss hier bleiben, das Boot ist sowieso schon überfüllt.“
Ich hob den Kopf und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Was war hier los?
© Elif 2023-07-21