von Amahagane
Seit Elora Lian das erste Mal begegnet war, kreisten ihre Gedanken nur um ihn. Wenn sie schrieb, erzählten ihre Werke nur von ihm. Sie hatte ihr Herz und ihre Seele an ihn verloren. Und mit jedem Wort, das er bei seinen Besuchen in der Werkstatt an sie richtete, auch wenn es nur ein „Hallo“ war, verliebte sie sich mehr und mehr in ihn. Nur wie sollte sie ihm näherkommen? Sie war ein Mensch und er ein Elf hohen Ranges. Nie zuvor hatte man von einer Verbindung zwischen Menschen und Elfen gehört.
Und mal abgesehen davon, wie könnte jemand wie sie Lians Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Sie war eine zurückhaltende junge Frau, die selten sprach und einen schlichten Lebensstil pflegte. Sie war blass, trug ihr Haar in einem strengen Knoten nach hinten gebunden und ihre Kleider waren ebenso farblos wie ihre Haut.
Wer war sie neben den wunderschönen Elfenfrauen, die stets Teil von Lians Entourage waren? Denen er ins Ohr flüsterte, wodurch sie süßlich kicherten. Wer war sie neben diesen hochgewachsenen Damen in ihren eleganten Gewändern, deren Ausstrahlung einen nahezu blendete? Ein Niemand. Dessen war sie sich sicher. Und sie vergoss viele Tränen darüber.
Irgendwann war sie die Tränen leid. Sie wollte Lian näherkommen. Unbedingt. So begann sie an sich zu arbeiten, um seiner würdig zu werden. Irgendwie stieß mir das negativ auf, aber gleichzeitig war ich auch fasziniert von ihrem Ehrgeiz. Sie kaufte sich teure und edle Stoffe, um sich ein neues Kleid zu nähen, obwohl sie gar nicht nähen konnte. Sie scheiterte mehrfach und musste einige ihrer misslungenen Versuche wegschmeißen. In einer Romcom hätte man ihre Nähversuche, bei denen sie sich süß über ihre eigene Ungeschicklichkeit aufregte, vermutlich witzig gefunden. Ich aber fand es eher traurig, da sie immer weiter ging mit ihrem „Make-over“.
Sie holte sich kosmetische Beratung bei den „schönen Mädchen“ der Stadt. Glättete ihre Haare mit einem heißen Eisen, wobei sie sich mehrfach verbrannte, und verschlang in ihrer knappen Freizeit jedes Buch über Elfenkultur, das sie finden konnte. Und jeden Tag übte sie ihr Lächeln vor dem Spiegel, in der Hoffnung, so Lians Augen und mit ihnen seine Gefühle auf sich zu lenken. Doch Übung macht nicht immer den Meister, vor allem, wenn Gefühle im Spiel sind.
Und als Elora wieder einmal mit einer leichten Schamesröte auf den Wangen durch das Begrüßungslächeln Lians erstarrte, endete Céline nach drei Stunden Digitalisierungsarbeit eines Nachmittags ihre Gedanken. Sie war erschöpft von dem langen Tag, nahm ihre Brille ab und rieb sich den Nasenansatz. Dann sah sie mich mit einem leicht glasigen Blick an und sagte lächelnd: „Feierabend!“ Es war das erste Mal, dass ich ihre tiefgrünen Augen ohne den Schutzschild ihrer Brille gesehen hatte. Es war, als würde ich Céline das erste Mal wirklich sehen. Der Anblick ließ mich erstarren, mir wurde warm und mein Herz schlug schneller.
Jetzt wusste ich, wie Elora sich fühlte, als sie Lian das erste Mal gesehen hatte.
© Amahagane 2022-08-28