12. Mark & Lou

Jule Peuckmann

von Jule Peuckmann

Story

Mark schlug wie wild gegen seinen Bildschirm, bis er wieder ein verschwommenes Bild darauf erkannte. „Geht doch“, murmelte er. Die Sirene tönte in seinen Ohren und er fürchtete, es könnte sein Trommelfell zum Platzen bringen. Bevor er sie abschalten konnte, musste er jedoch nachsehen, welche Bedeutung sie hatte. Er scannte mit aufmerksamen Blicken die Bildschirme und sein Blick fiel auf einen Jungen. Das Kind stand im Sekretariat und wedelte mit etwas vor der Sekretärin, June, hübsches Ding, herum. Mark stand auf und beugte sich über das Kontrollpult, bis seine Nase beinahe den Bildschirm berührte. „Das ist ne´ Waffe“, stellte er trocken fest, „Ne. Nicht heute.“

Schnell sprang er auf und griff sich ein Werkzeug aus dem kleinen Schrank neben seinem Tisch. Vorsichtig lehnte er sich gegen die Tür und öffnete sie einen Spalt. Ein Kontrollblick zurück: Das Kind war noch im Sekretariat. „Na gut. Dann mal los.“ Er starrte auf seine zitternden Finger. „Reiß dich zusammen.“

Als er einen Schritt auf den Flur gesetzt hatte, verstummte die Sirene. Reflexartig blieb er stehen und wagte es nicht nur einen Muskel zu bewegen. Auch das Atmen stellte er kurz ein, bevor er es keuchend wieder aufnahm. Er tastete sich einige Schritte nach vorne und spähte um die nächste Ecke: Nichts. Doch auf einmal vernahm er hinter sich ein Geräusch. Hastig rannte er in den Gang und öffnete die erste Tür. Keuchend lehnte er sich dagegen und starrte in die Gesichter mehrerer verängstigter Kinder. Eines hatte ihre Knie fest an sich gepresst. Sie sahen ihn an. Marks Blick ging zurück auf den Gang. Nichts. Dann sah er sich im Klassenraum um. Außer den erwartenden Blicken der Kinder – nichts. Doch, das Lüftungssystem.

„Hey“, zischte er dann, „Ich bräuchte eure Hilfe. Die Hilfe von einem Kind zumindest. Einem kleinen Kind.“ Die Lehrerin sah auf. „Sicherlich nicht. Sie ziehen die Kinder da nicht mit rein.“ „Das Kind wird nicht in Gefahr sein.“ „Was muss ich denn tun?“ „Wie heißt du?“ „Lou“, sagte das Mädchen und stand langsam auf.

„Lou. Du müsstest in den Schacht da oben klettern und…hast du ein Handy?“ Sie nickte heftig. „Und mit deinem Handy kontaktierst du mich, wenn du ihn, den Jungen mit der Waffe, durch das Belüftungssystem siehst.“ Lou nickte.

Die erste Nachricht lautete: GANG 1 NICHTS. Mark presste sich an die Tür des Klassenzimmers und schreckte jedes Mal auf, als sich der Chat erneuerte. Vor allem bei der nächsten Nachricht durchfuhr ihn ein Schaudern: KLASSENZIMMER 202. ER BEDROHT KINDER. Mark nahm all seinen Mut zusammen und trat auf den Gang hinaus – nur mildes Protestflüstern machte sich hinter ihm breit. Schnell, aber leise, bewegte er sich vorwärts. 202. Schnell und leise, dachte er. Mark öffnete die Tür. Sofort sah er den Jungen und auch die Leiche eines Mädchens am Boden. Ne. Sofort rannte er auf den Jungen zu, der nicht schnell genug seinen Arm heben konnte und schlug ihm mit seinem Schraubenschlüssel auf den Kopf.

© Jule Peuckmann 2022-08-13