Liebe geht durch den Magen

Das Essen riecht köstlich und wir wünschen uns vorfreudig einen guten Appetit, während wir uns mit den feuchten Tüchern, die uns netterweise gebracht worden sind, die Finger sauber tupfen. Wir haben die große Probierplatte zum Teilen bestellt.

Ich reiße mir zuerst etwas Injera ab und tunke es dann in eine der bunten Soßen. Das Injera ist weich und warm und schmeckt wunderbar säuerlich. Zusammen mit der scharfen Soße ist es eine außergewöhnliche Geschmacksexplosion für den Gaumen.

Genüsslich lutsche ich mir die Finger und tunke das Sauerteig-Fladenbrot nach und nach in alle Soßen, die auf dem Injera drapiert worden sind. Auch Jorge ist begeistert vom Essen und bedankt sich kauend, dass ich ihn hierhin mitgenommen habe.

Ich bin es gewohnt, mit den Fingern zu essen, auch in Angola, meinem Heimatland, ist das üblich. Doch hier und jetzt mit den Fingern zu essen und ihn dabei zu beobachten, wie auch er es tut, hat etwas sehr Vertrautes und auf sonderbare Weise sogar Sexuelles. Es sorgt für eine besondere Stimmung und macht mich unheimlich an.

Als die Rechnung kommt, reiße ich sie an mich und verkünde dem verblüfften jungen Mann, dass ich ihn einladen werde. Viele Frauen erwarten beim ersten Date mit einem Mann, dass er sie einlädt.

Ich finde es schade, dass diese große Pflichttreue schwer auf den Schultern der Männer lastet. Für die eine oder andere Frau ist es sogar ein ausschlaggebendes Kriterium, sich nicht aufs Neue mit einem Mann zu verabreden, wenn dieser die Rechnung nicht übernommen hat. Ich halte nichts von diesen heteronormativen und dämlichen Regeln und finde es schön, aus der Reihe zu tanzen.

Auf der Suche nach einer Bar für einen Absacker vertiefen wir unser Gespräch und sprechen über die bescheuerte Aufteilung von Spielzeug, Kleidung und Farben in »Mädchen- oder Jungssache«. Ich genieße es, dass wir die gleichen Werte und Ansichten teilen. Nicht zum ersten Mal registriere ich, dass es ziemlich unkompliziert und erfrischend ist, mit ihm zu reden. Jorge ist ein aufmerksamer und geduldiger Zuhörer. Er lässt mich auch dann ausreden, wenn ihm etwas Wichtiges auf der Zunge brennt.

»Ich habe mich vor ein paar Tagen mit einer anderen Frau getroffen«, antwortet er unverblümt auf meine Frage hin, ob er denn noch andere Verabredungen gehabt hatte. »Aber ich finde, man merkt sehr schnell, ob die Chemie passt oder nicht und mit ihr hat sie nicht gepasst. Das war für uns beide ziemlich offensichtlich, wir haben beim Abschied darüber gesprochen.«

Für die nächste Frage nehme ich meinen ganzen Mut zusammen: »Wie sieht es mit der Chemie zwischen uns beiden aus?«, frage ich ihn betont lässig, während ich abwechselnd erst auf ihn und dann auf mich zeige.