von Karin Lang
„Warum kann ich nicht einfach normal sein, so wie alle anderen. So wie Miron.“
Zuhause angekommen schaltet Christian das Licht an, macht Musik an, legt sich auf sein Bett und starrt die Decke an, und schämt sich ganz fürchterlich. Er schämt sich so sehr, dass die einzige Lösung scheint, diese Scham zu ertränken. Er läuft zur nächsten Kneipe und bestellt einen Kurzen nach dem anderen, bis seine Gedanken schwammig werden.
Was wird Miron bloß von mir denken, wenn er das erfährt?, denkt er. Ich habe eine Frau verletzt. Was ist, wenn sie sich wirklich weh getan hat? Sie wird es ihrer Freundin erzählen und die wird es dann Miron erzählen. Was wird er bloß dazu sagen? Christian spürt, wie seine Augen vor Verzweiflung und Wut auf sich selbst feucht werden. Warum bin ich bloß so wie ich bin? Ich will doch einfach nur irgendwie klarkommen. Ich glaube manchmal, das Leben ist einfach nichts für mich. Es ist zu kompliziert, zu merkwürdig, ich verstehe es einfach nicht und das macht mich wahnsinnig.
Christian legt seinen Kopf auf der Theke ab und hält sein Glas in die Höhe. „Noch einen, bitte.“ Der Barkeeper mustert ihn. „Meinst du nicht, du hattest schon genug?“ Christian blickt etwas zu ruckartig auf, ihm wird schwindelig. „Ich brauche das Heute. Wenn du ich wärst, würdest du das verstehen.“ Der Barkeeper stützt seine Hände auf dem Tresen ab und blickt Christian unbeeindruckt in die Augen. „Was meinst du, wie viele Menschen hier Tag für Tag sitzen und mir das Gleiche sagen wie du jetzt. Ihr habt es alle am schwersten, schon kapiert. Ich kann Menschen ehrlich gesagt nicht ausstehen, die sich selbst bemitleiden, anstatt ihr Leben in die Hand zu nehmen. Und jetzt verschwinde, wir machen sowieso gleich zu.“ Stutzig steht Christian auf und fällt dabei fast vom Stuhl. Er verlässt die Bar, geht ein paar Schritte und blickt in den Himmel. Der Mond scheint hell, aber Sterne sieht man hier in der Stadt fast keine. Wie gerne würde er jetzt Sterne sehen. „Es ist zu schwer!“, ruft er hinauf. „Das Leben ist verdammt noch mal- Ach, das Leben! Wer hat diesen Mist eigentlich erfunden?!“
„Das frag‘ ich mich auch immer!“, antwortet ein betrunkener Obdachloser, der fünf Meter entfernt auf einer Bank sitzt. Christian scheint es, als hätte der Mond ihm persönlich geantwortet. „Ach was weißt du schon. Du musst dich doch um nichts kümmern. Du scheinst so schadenfroh herunter auf die armen Menschen, die nicht wissen, wohin, wenn es dunkel wird. Was weißt du schon vom Leben!“ Christian geht zu der Bank und setzt sich neben den Mann. „Guten Abend.“
„N‘ Abend.“
„Glauben Sie, der Mond ist einsam?“
„Na klar.“
„Viele Freunde hat er da oben ja nicht.“
Mit diesem Gedanken schläft Christian ein, wacht aber nach ein paar Minuten wieder auf. Er taumelt zurück in seine Wohnung, schmeißt sich aufs Bett und ist innerhalb von Sekunden eingeschlafen.
© Karin Lang 2022-08-14