14 Minuten

Sabine Benedukt

von Sabine Benedukt

Story
Linz 2025

Es ist kalt und meine Straßenbahn an der Haltestelle Mozartkreuzung kommt erst in 14 Minuten, leuchtet mir die Anzeigetafel entgegen. Ich habe mich in den Schutz einer Hausmauer zurückgezogen, um nicht so zu frieren. Von dort aus beobachte ich eine junge Frau dabei, wie sie andere Wartende nach ein bisschen Kleingeld fragt, für die Straßenbahn sagt sie. Die einen entschuldigen sich, leider keine Münzen zu haben, die anderen drehen sich schnell weg. Ich bleibe ungefragt, wie unsichtbar beobachte ich die Szene aus dem Hintergrund. Die junge Frau, fast noch ein Mädchen, wirkt nicht ungepflegt, aber viel zu dünn bekleidet für diese kalte Nacht. Sie trägt eine helle Jogginghose, Turnschuhe, eine dunkle Winterjacke und eine rote Haube. Sie tut enttäuscht, weil sie nicht mit der Straßenbahn fahren kann. Ich glaube, sie blufft, sie würde auch schwarzfahren, denke ich. Wozu braucht sie die Münzen? Für Essen oder Alkohol, oder Drogen? Muss sie im Freien schlafen?

Ich diskutiere mit mir selbst, ob ich ihr Geld geben soll? Hier in der dunklen Nacht möchte ich aber meine Handtasche nicht öffnen und die Geldbörse hervorkramen. Ich habe zu viele Schadenmeldungen bei der Versicherung gelesen, wo jemandem die Tasche aus der Hand gerissen wird. Also lasse ich es bleiben, obwohl sie mir leidtut. Ich ärgere mich, habe mir schon so oft vorgenommen, in der Innenstadt in der Manteltasche immer ein bisschen Kleingeld zu haben, um die Handtasche nicht öffnen zu müssen. Immer noch 12 Minuten. Ich beschließe zur nächsten Haltestelle zu gehen, um mich dabei ein wenig aufzuwärmen. Nach vier Minuten bin ich dort, beim Schillerpark. Noch 8 Minuten in der Kälte. Da sehe ich das Mädchen wieder, sie muss in der Bim gesessen sein, die gerade an mir vorbeigefahren ist. Wieder spricht sie die Wartenden an, ob sie etwas Kleingeld haben, für die Notschlafstelle, sagt sie jetzt. Keiner gibt ihr was und mich fragt sie wieder nicht, als wäre ich unsichtbar. Nach ein paar Minuten ist eine Straßenbahn in Sicht. Ich verhandle mit mir selbst, wenn das meine Linie ist, dann steige ich ein und das Mädchen verschwindet wieder aus meinem Leben, wenn nicht, werde ich endlich meine Geldbörse aus der Handtasche nehmen. Es ist meine. Ich trete ein in die Wärme und setze mich. Plötzlich steigt auch die junge Frau ein, bleibt am Fenster stehen und blickt in die Nacht. Sie sieht mich nicht. Ich öffne meine Handtasche und finde eine Zwei-Euro-Münze, mehr Kleingeld habe ich nicht. Ich stehe auf, tippe sie an, weil sie mich noch immer nicht bemerkt hat, und drücke ihr die Münze in die Hand. Sie hat sich überrascht zu mir umgedreht und sagt freudig: „Danke!“. Ich bin beschämt (es sind ja nur zwei Euro!), antworte nur kurz „Bitteschön“ und setze mich wieder. Dann sagt sie noch: „Es ist zu kalt zum draußen schlafen“. „Ja“, sage ich nickend. Mehr traue ich mich nicht, und Zeit zum Überlegen bleibt mir nicht. An der nächsten Haltestelle, Hauptbahnhof, steigt sie wieder aus und verschwindet in der kalten Nacht. Ich hoffe ganz fest, dass sie nun in einer Notschlafstelle ein Bett hat und nicht frieren muss.

Nach 20 Minuten steige ich aus der Straßenbahn, kurz gehe ich noch durch die Kälte, dann bin ich daheim. Endlich. Mein Bett ist warm, aber ich kann nicht einschlafen, denke an das Mädchen, ob sie auch ein warmes Bett hat?

© Sabine Benedukt 2025-02-07

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Romane & Erzählungen
Stimmung
Herausfordernd, Emotional
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