14- Vom Sande verweht

Claudia Schubert

von Claudia Schubert

Story

Von der Aussichtsterrasse aus schien es, als wären sie mit einem Papierflugzeug aus ihrem Neubaugebiet direkt ins texanische Hinterland gesegelt. Auf dem Flugplatz stiegen sie hinter dunklen Sonnenbrillen aus der zweimotorigen Maschine. 30 Grad, die Sonne brannte, das Haar saß. Eigentlich hatten sie geschworen, ihre Sommerschuhe nie auf amerikanischen Boden zu setzen, doch nun hinterließen genau diese ihre Abdrücke im Wüstenstaub der Südstaaten.

Meine Eltern waren gekommen, um zusammen mit meiner Gastfamilie meiner Graduation, der Abschlussfeier, beizuwohnen. Das Beweisfoto von damals ist die 9×11 cm große Metapher meiner persönlichen Kulturerfahrung: In einem lila Sackmantel und dem klassischen quadratischen Papphut mit Schnürchen klebte ich zur Feier des Tages wie ein Hot Dog – Würstchen zwischen den Scheiben zweier Welten: Bemmen links, Bagel rechs. Doch auch wenn der englische Sprachschatz meiner Eltern nicht gerade the yellow from the egg war, kam die Verständigung bei einem Beerchen und einem Texas T-Bone Steak durchaus in die Gänge.

Man wollte die Tage nutzen, um dem seltenen Besuch aus Europa die Umgebung zu zeigen. Uncle Jimmy bot sich dafür an. Jimmy bot sich eigentlich immer an, denn zwischen den Austauschschülern und deren Gastfamilien stellte er einen nicht wegzudenkenden Dreh – und Wendepunkt dar. Cookies, Poolnutzung und eine Schulter zum Anlehnen gab es bei ihm außerdem immer gratis dazu.

In seinem sandfarbenen Kleinbus stellte sich die 170 Meilen lange Fahrt zu den Tropfsteinhöhlen von Carlsbad als durchaus angenehm dar. Bequem gebettet auf weichem Leder konnte man bei erfrischender AC die unendlichen Weiten des Niemandslandes zwischen Texas und New Mexico aufsaugen. Country Music und gekühlte Drinks schafften die perfekte Wohlfühlatmosphäre auf der Route 62. Es fehlten nur noch die Rocher mit Byzantiner Königsnüssen, um dieses leichte Hungergefühl zu stillen.

Jimmy war zwar nicht Albert, doch hatte er auch daran gedacht und bestand darauf, uns die weltbesten Burritos zu besorgen. Ein paar Meilen später parkte er uns und seinen Wagen auf den trostlosen Asphaltfetzen einer Stadt, die im Laufe der Jahre ihre wirtschaftliche Blütezeit auf den letzten Zug nach Nirgendwo gepackt hatte. Das, was von der einstigen Hauptstraße ihren Weg ins Hier und Jetzt geschafft hatte, wurde von verlassenen Zeitruinen gesäumt. Leise grinsend stand der Tod in sperrigen Cowboystiefeln vor uns und warb für Dr.Pepper. Die pralle Mittagssonne brütete wie ein Feuerball über den löchrigen Dächern der Geisterstadt. Es war, als würde man von dort die letzten mageren Tropfen Leben auf den dürren Boden fallen hören.

Wir hofften insgeheim, dass irgendwo am Horizont Henry Fonda auftauchen und dieser tristen Aufführung eine Wendung geben würde. Doch da war nur Jimmy, der uns zufrieden die Burritos durch das Autofenster reichte. Und sein Fillmore, in dem wir Radiator Springs für immer den Rücken zukehrten.

© Claudia Schubert 2022-12-04