von Anna Geier
Jedes Jahr komme ich an diesem Tag ins Waldviertel, egal wo ich vorher war. Um 21 Uhr geht es los, jedes Jahr.
Am Nachmittag kam ich zurück vom Urlaub, legte mich auf das Sofa, um mich auszuruhen. Um die Nacht durchzuhalten, musste ich ausgeruht sein. Immer wenn ich heim komme, trinke ich vom Brunnenwasser. Es war heiß, ich hatte großen Durst, also trank ich viel Wasser. Es schmeckte so wie immer. Gegen Abend machte ich mich fertig, um mich auf den Weg zu machen. Draußen vor meinem Auto treffe ich meinen Nachbarn, der ganz aufgeregt mir mitteilte: “ Weißt du, im Brunnen waren drei tote Ratten, wir haben diese schon herausgeholt. Durch die Trockenheit hatten sie Durst, der Überlauf war ausgetrocknet und so schlüpften sie hinein! Heraus kamen sie nicht mehr, daher sind sie ertrunken.“ Erschrocken japste ich: “ Nein, ich habe das Wasser getrunken! Was soll ich jetzt machen?“ Mir grauste erheblich. Mein Nachbar meinte lapidar: “ Mach dir nix draus, unsere Pferde haben das Wasser auch getrunken. Wenn die Pferde es trinken, dann ist es in Ordnung. Die haben einen ausgeprägten Spürsinn, die trinken kein verseuchtes Wasser!“. Das war aber keine Beruhigung für mich.
Sehr verunsichert stieg ich ins Auto und fuhr nach Langegg in die Kirche. Um 21 Uhr beginnt jedes Jahr die lange Nacht der Orgel, organisiert von Heini Staudinger. Die ganze Nacht gibt es Orgel, Cembalo,Geige und andere Instrumente zu hören, immer Musik von Bach. Am 15. August ist ein Feiertag, da hat man dann Zeit zum Ausschlafen.
Ich kam dort an, noch vor Beginn der Veranstaltung und suchte zuerst das WC, weil ich auf Nummer sicher gehen wollte. Immer mit dem komischen Gefühl in mir, spüre ich etwas, muss ich vielleicht, wann geht es los? Das ständig mich verunsichernde Gefühl blockierte mich. Meine ganze Aufmerksamkeit gebührte meinem Magen. Als ich den Platz in der Kirche eingenommen hatte, wollte ich eigentlich davon laufen. Immer aufmerksam, ob mein Magen und mein Gedärm schon grummelt.
Heinis Worte zu Beginn des Konzertes beruhigten mich. Er, der immer so Heini-Philosophisches von sich gibt, so wie er ist, das hatte positive Wirkung auf mich. All der Druck der letzten Stunden, die Ungewissheit, ob in meinem Gedärm das sich befindliche Rattenwasser, eventuell eine Reaktion hervorrufen könnte,wich in ein:Ist mir wurscht! So hielt ich die ganze Nacht durch. Die Atmosphäre war sehr inspirierend und ich war endlich abgelenkt.
Um 4 Uhr morgens endete das Konzert. Die Hartgesottenen, die durchhalten bis zum Ende sind anschließend immer zu einem Frühstück in Heinis Schuhwerkstatt in Schrems eingeladen. Das Frühstück schmeckte ganz besonders fein, nach der langen Nacht und die Gespräche mit den verbliebenen, begeisterten Teilnehmern waren dann noch das Tüpfelchen als Abschluss.
Vergessen war das Rattenwasser.
© Anna Geier 2020-04-18