15

luisa-plz

von luisa-plz

Story

Ich nehme einen Stein vom Pfad meines Lebens und beginne mit ihm die Felswand, die den Weg abschneidet zu behauen. Der Stein ist schwer und der Fels hart wie Eisen. Mein Arm schmerzt, jeder Schlag ist eine Tortur. Es dauert eine Ewigkeit bis eine kleine Kuhle entsteht, doch ich gebe nicht auf. Ich werde meinen Lebensweg weitergehen. Ich werde mir einen Tunnel durch diesen Fels schlagen.

Mein Arm gewöhnt sich an die Arbeit, wird taub, der Schmerz dumpf. Bald habe ich eine Aushöhlung in den Fels geschlagen in die ich mich, wenn auch gebückt, stellen kann. Mit jedem Schritt sammelt sich mehr Staub in meinen Haaren und auf meiner Haut. Meine Nägel sind abgewetzt, meine Haut porös, der Staub lähmt meine Zunge. Sie liegt nutzlos in meinem Mund wie ein Fisch in einem ausgetrockneten Teich.

Alles tut mir weh, der Arm der ohne Halt auf den Fels einschlägt, die Finger, die den schweren Stein halten, meine Augen, gereizt vom Staub und ausgetrocknet, meine Lungen und meine Beine. Zeit verliert ihre Bedeutung, es wird nicht mehr dunkel, nicht mehr hell. Die Sonne und die Sterne haben mich vergessen. Es wird still um mich herum.

So arbeite ich und komme voran. Es ist eine stumpfe Arbeit, abwechslungsarm und pausenlos. Mein Leben hängt davon ab, dass ich voran komme, mir den mühsamen Weg durch den Fels erschließe. Habe ich nicht bisher alle Steine die das Leben mir in den Weg legte überwunden, mich immer vorwärts gekämpft?

Aylin sitzt an meinem Bett. Sie ist überfordert. Sie hat noch nie einen Menschen sterben sehen. Ich wollte nicht, dass sie kommt. Wir haben telefoniert. Sie hätte nicht herkommen müssen. Aber sie ist hier und hält es aus. Sie hat Blumen mitgebracht, wunderbar duftende Blumen. Wie viel ich dafür geben würde mich jetzt auf einer Blumenwiese mit ausgestreckten Armen und fliegenden Haaren um mich selber zu drehen.

„Finja, du schaffst das. Du schaffst doch alles.“Ich lächle. „Ja.“Aylin wird es schaffen. Sie wird ihren Schmerz schneller vergessen als sie denkt. Sie ist viel stärker als sie denkt. Sie ist so ein schöner Mensch.„Pass auf auf dich, ok?“

Sie sagt nichts, guckt mich nur an und nickt dann.

Irgendwann frage ich mich, woher der Wille kommt, der mich durch denFelstreibt. Ich habe mein Augenlicht und mein Gehör verloren, ich bin abgemagert, dürr, kraftlos. Meine Gedanken sind hallender Stille gewichen. Ich hatte doch nie einen starken Lebenswillen. Disziplin und Beständigkeit haben mich nie in besonderem Maßen ausgezeichnet. Und nun habe ich soviel gegeben, nur um meinen Lebenspfad ein paar Meter weiterzugehen.

Ich beschließe eine Pause zu machen und rutsche an derFelswandhinab. Erst jetzt bemerke ich wie kalt der Gang ist. Ich bin kaum mehr wärmer. Ich bin fast eins mit dem Stein. Müdigkeit drückt mich herab. Mirist als würde die Last des Gesteins über mir auf mir lasten. Das Gestein ist so schwer. Meine Beine erscheinen mir dünn und fragil, zerbrechlich wie die von Spinnen. Ich bin mir fremd.Ich erkenne mich selber nicht.

© luisa-plz 2022-08-18