15. Der Heimweg

Dennis Reinick

von Dennis Reinick

Story
Heimthal 1600

Die Sonne ist tief am Horizont, als Finn und Leni die Stadt verlassen. Sie hatten viele wertvolle Lektionen gelernt und das Geheimnis der Karte gelĂĽftet. „Es fĂĽhlt sich seltsam an, zurĂĽckzugehen – du nach Hause zu deiner Familie und ich streife wieder alleine umher“, sagt Leni nachdenklich, „Kannst du dich noch an unsere erste Begegnung erinnern? Wir haben uns seitdem ganz schön verändert.“ „Das haben wir“, sagt Finn, „aber es ist nicht die Umgebung, die uns verändert hat. Es ist das, was uns begegnet ist, was uns verändert hat. Wir haben den Berg ĂĽberquert, die Stadt betreten, einander vertrauen gelernt und sind jetzt hier. ZurĂĽckzugehen bedeutet nicht, dass wir innerlich wieder die alten werden. Und wie ich schon einmal sagte, du darfst mit mir bei meiner Familie wohnen.“ „Ja, du hast recht“, antwortet Leni und sieht zu den Felsen, die sie von der anderen Seite des Berges aus gesehen hatten. „Es fĂĽhlt sich an, als ob wir nicht mehr dieselben Kinder sind, die den Berg hinaufgestiegen sind.“ „Ganz genau“, sagt Finn, „Es ist nicht die Heimat, die uns verändert hat, sondern der Weg, den wir gegangen sind.“ 

Der Rückweg ist mühsam, der steile Abstieg durch die Berge verlangt den beiden alles ab. Als sie die weiten Ebenen erreichen, die sie einst durchquert hatten, erkennen sie, dass sie auf dem richtigen Weg sind, den die Karte ihnen im Berg gezeigt hatte. 

Es ist der vierte Tag des RĂĽckwegs, als Finn und Leni das vertraute Tal erreichen, in dem Finns Heimat liegt. Der Wind ist sanft, die Felder grĂĽn, und in der Ferne kann man die Dächer des Dorfes sehen. Als sie zu Finns Haus kommen, steht seine Mutter auf der Veranda. Als sie Finn sieht, lächelt sie mit Tränen in den Augen. „Du bist zurĂĽck“, ruft sie und eilt ihm entgegen. Sie nimmt ihn in den Arm, kĂĽsst ihn und begutachtet ihren Sohn genau: „Was haben wir dich vermisst!“ „Es gibt so viel, was wir dir erzählen mĂĽssen. Ich will dir jemanden vorstellen, Mutter. Das hier ist -“ er dreht sich zu Leni um, doch sie ist verschwunden. „Wo ist sie hin?“, fragt er sich. Er kann es nicht glauben, dass Leni ihn verlassen hat und nicht mit ihm bei seiner Familie geblieben ist – nicht nach alldem, was sie zusammen erlebt haben. Oder hat er sie sich nur eingebildet? „Nein, das kann nicht sein“, ist er sich sicher.

Die nächsten Tage verbringt Finn mit seiner Familie und erzählt am Lagerfeuer von seinen Erlebnissen und all den Abenteuern, die er mit Leni erlebt hatte. Finn blickt in das Feuer und zieht ein Fazit: „Manchmal ist der schwere Weg genauso wichtig wie das Ziel, das wir verfolgen. Dadurch werden wir geformt und können unsere Lebensreise auf eine neue Art und Weise fortsetzen.“

Die Tage vergehen und Finn findet wieder seinen Platz in der Heimat. Er hilft seiner Familie nun ohne zu meckern. Während er auf die Felder hinausblickt, weiß er, dass er irgendwann wieder aufbrechen würde, vielleicht auf eine neue Reise, ganz gewiss aber, um Leni zu suchen. Er weiß jetzt, dass der größte Schatz nicht immer Reichtum liegt, sondern die Lektionen, die man auf dem Weg lernt, und die Menschen, mit denen man den Weg geht. Und obwohl seine Reise zu Ende ging, war es eigentlich erst der Beginn eines neuen Kapitels in seinem Leben.

© Dennis Reinick 2024-12-17

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Abenteuerlich, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Unbeschwert, Mysteriös
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