von LucianX
Der berühmte Vasaloppet ist das größte Langlaufrennen der Welt. Langlaufen, weil es lang ist. 90km. War das nicht die Strafe, zu der ich auf jedem Schulskikurs verdonnert wurde, wenn ich frech war? Also wie kommt ein nicht masochistisch veranlagter Idiot auf die Idee zu trainieren, Urlaub zu nehmen und nach Schweden zu reisen – nur um den Massenstart zu überleben?
Es fing an mit einer Wette. Mein blonde Schwedin aus Skåne macht das Zeug jedes Jahr. Kein Witz. Alle vier Svenska Klassiker. Also nicht nur den Vasalauf, sondern auch den Vätternrunt, ein 300km Radrennen rund um den Vätternsee. Drei Schwimmkilometer beim Vansbrosimningen und den Lindingöloppet. Das ist der romantische 30km Hügellauf rund um das Ö namens Liding, also die Insel. Sie reizte mich damals nicht nur damit, ausschließlich Funsport im Kopf zu haben und bei einer Ausdauersportart w.o. zu geben. Stimmt! Funsport macht ja auch Spaß. ‘Das schaffst Du nie’, sagte sie eitel. Damit war unsere Wette besiegelt, alle Svenska Klassiker in einem Jahrzu schaffen. Wetteinsatz geheim.
Meine Vorbereitung war so langweilig wie das Langlaufen. Zig Stunden Trizepstraining. Bei stabiler Fitness reicht das, denn beim Klassikstil treibt dich nur der Trizeps an. Langlaufen konnte ich ja schon dank meiner Schulskikurse. Dachte ich. Ankunft in Stockholm. Fahrt ins Skigebiet Sälen. Eine kurze Träne floss, weil ich nicht zum Skifahren da war. Die Nacht in der Blockhütte bleibt unvergesslich. Viel zu viele schnarchende und stinkende Athleten, die bei Eiseskälte unter einem Dach schliefen. Wachkoma pur. Doch es kam schlimmer.
Start war um 8. Schon um 7 Uhr begann die mühsame Suche nach der richtigen Startgruppe, während Helikopter über dem Himmel kreisten. Das Highlight war das Uppvärmning mit der schwedischen Cheerleadergruppe – das war geil. Trotzdem war ich schon lange vor dem Start k.o.
Endlich fand ich meine Startgruppe. Es war die Allerletzte. 16.000 Läufer vor mir. Am Horizont glaubte ich, die Elitegruppe mit den Topstars zu erspähen. Es wurde unruhig. Die Rotoren knatterten. Schwedische Motivationsrufe aus den vielen Boxen hallten zusammen mit Musik durch das Tal. Die Spannung stieg. Der Start stand unmittelbar bevor. Ein reiner Hexenkessel. Verzweifelte und konzentrierte Blicke rund um mich herum. Meine Schwedin hatte ich längst verloren.
Punkt 8 kam die Erlösung. Peng! 90 km vor mir. Doch es passierte nichts. Alle verharrten, keiner bewegte sich. Nach unendlich langen Minuten die erste vorsichtige Vorwärtsbewegung: 10cm. Stillstand. Dann wieder ein paar cm. Stillstand. Erst nach einer Ewigkeit startete das Rennen auch für uns hier hinten. Vollgas. Aber nur bis zum Ende der Geraden. Dort verengten sich beim ersten Anstieg die 60 Parallelspuren auf vielleicht 8. Alles stand wieder. Aus dem Massenstart wurde ein Massenstau. ‘Schneller warten’, schoss durch meinen Kopf. 88,5km stand auf einer Tafel. Und jede Sekunde knabberte am Zeitlimit.
© LucianX 2021-02-25