Zurück an Bord nehme ich eine erfrischende Dusche. Der warme Dampf ist wohltuend und ich fühle mich wie neu geboren. Jedoch haben die letzten zwei Tage Spuren hinterlassen. Spuren tief in meinem Herzen.
Meine Gedanken kreisen, während ich angestrengt versuche die Eindrücke und Erlebnisse zu ordnen. Ich werde mit Gefühlen konfrontiert, die ich bewusst unterdrückt hatte. Ich streife mein kleines Schwarzes über und werfe einen letzten Blick in den Spiegel. Am Weg zum Dinner bemerke ich etwas, dass ich schon lange nicht mehr gefühlt habe: Nervosität.
Als ich ankomme, ist bereits mein Lieblingschampagner bestellt und wunderschöne Blumen zieren den Tisch. Er begrüßt mich charmant mit einem Kuss auf meine Wangen und ich spüre wie meine Knie weich werden.
„Hallo schöne Dame, es freut mich Sie wiederzusehen. Sie sehen umwerfend aus.“
„Das kann ich nur zurückgeben, der Herr.“
Als unsere Blicke sich treffen, scheint die Welt still zu stehen. In diesem Moment gibt es nur ihn und mich. Unsere gemeinsame Leidenschaft für gutes Essen lässt uns das gesamte Angebot der Speisekarte bestellen.
Wir lachen viel, sprechen über die Vergangenheit, teilen Anekdoten und die Zeit verfliegt, bis wir die letzten Gäste im Raum sind.
Allerdings blenden wir die Realität geschickt aus. Themen, die zum wahren Grund der Trennung führten, sprechen wir nicht an. Wir wissen beide, wie einzigartig unsere Verbindung ist und zusammen bilden wir ein starkes Team. Die letzten Tage im Überlebensmodus haben uns dies vor Augen geführt.
Das Kreuzfahrtschiff ist ein geschützter Ort, aber sobald wir von Bord gehen, hat uns der Alltag mit all den Problemen, Sorgen und Verpflichtungen wieder voll im Griff.
Die verbleibenden Tage verbringen wir zusammen. Die Ausflüge und die gemeinsame Zeit sind traumhaft schön – fast schon unheimlich wie perfekt wir harmonieren.
Uns wird täglich immer mehr bewusst, wie sehr wir einander vermisst haben. Mein Kabinenbett bleibt die letzten Nächte unberührt. Wir verlieben uns erneut ineinander und die Welt scheint rosarot. Der Abend vor der Abreise ist gekommen. „Meine geliebte Leila. Ich will mein Leben mit dir verbringen und keine Zeit mehr verlieren. Wir treffen uns kommende Woche und planen unsere gemeinsame Zukunft.“ Noch in dieser Nacht lieben wir uns mehrfach. Keiner von uns beiden will einschlafen, denn tief im Inneren wissen wir, dass die Zeit für lebensverändernde Entscheidungen gekommen ist.
Der Morgen ist in Schweigen gehüllt. Wir trauen uns beide nicht, es anzusprechen.
Die Euphorie der letzten Tage ist verschwunden. Es steht eine Frage im Raum.
Sind wir bereit für ein Leben zu zweit, auch wenn wir unsere Karrieren damit gefährden?
Waren es am Ende nur die paradiesischen Umstände und die Urlaubsgefühle, die unseren Blick auf die Realität trübten?
Der Urlaub ist zu Ende. Am Weg zum Flughafen empfange ich eine SMS.
Ich muss diese nicht öffnen, um zu wissen, dass soeben die Entscheidung über unsere Zukunft gefallen ist.
© Jennifer Gradwohl-Härtel 2024-08-18