1912 Katharina die junge Bäuerin

Angela Buchegger

von Angela Buchegger

Story
Steiermark 1912

Oft denke ich darüber nach, wie sich wohl das Leben einer Bäuerin vor mehr als hundert Jahren gestaltete. Ich sinniere ja noch immer über meine Vorgängerin, über jene junge Frau, deren Gedenkkreuz im Wald steht, nach. Die alten Birnbäume, welche die Zeit überdauerten, wüssten sicher so manche Geschichte zu erzählen und könnten Aufschluss geben über all das Geschehen am Hof. Wenn ich Birnbaum wäre, ich könnte soviel schicksalshaftes Wissen wahrscheinlich gar nicht aushalten. Doch denen ist sowas ja gleichgültig. Groß und mächtig stehen sie am Ackerrain. Im Mai zeigen sie jahraus, jahrein ihre herrlichsten Blüten. Wohltuenden Schatten bereiten sie im Sommer, im Herbst schenken sie ihre Früchte, welche zu Most und getrockneten Birnen, den sogenannten Kletzen, verarbeitet werden. Dafür erstrahlen sie danach im reinsten Gold und im Winter strecken sie ihre dürren, bemoosten Äste gespenstisch in die kalte Winterluft. Wahrscheinlich würde ihre Antwort auf meine Frage wie folgt lauten: »Ja wir haben sie gesehen, die junge Kathi, wie sie, blutjung, als Tochter des Hauses am Hof werkelte. Voller Elan stürze sie sich in die Arbeit, wovon es ja genug gab. Die alte Bäuerin war froh, Hilfe zu bekommen. Der Tag war ausgefüllt mit Verpflichtungen. Am Morgen hörte man die Kühe im Stahl muhen. Sie hatten Hunger und die Milch drückte. Katharina musste das Melken erst erlernen. Bald schaffte sie es, dieses rhythmische Ziehen an den Zitzen, sodass die Mich mit einem starken Strahl in den Holzzuber rauschte, welchen sie sich zwischen die Beine geklemmt hatte, während sie auf dem alten Melkschemmmel, neben der Kuh saß. Die Kälber bekamen den Großteil der Ausbeute. Für die Leute im Haus blieb ein wenig übrig, um das Frühstück zu bereiten. Meist gab es einen Haferbrei, welcher mit Milch verfeinert wurde. Der Tag nahm seinen Lauf, mit Arbeit im Garten, am Feld und im Haus. Dort gab es einen einzigen großen Raum, die Rauchkuchl, wo sich die ganze Familie aufhielt. Mitsamt den Hühnern, die nachts in Holzkisten unter der Ofenbank ihre Unterkunft hatten und am Tag nach Herzenslust überall im Hof spazieren gehen durften. Ihre Eier waren eine heiß ersehnte Gabe.

Bald vergrößerte sich die Familie. Jahr für Jahr kam ein Baby dazu. Es wurde lebendig am Hof. Überall hörte man Kinderlachen. Die Katharina hatte Arbeit über beide Ohren. Es gab damals keine ärztliche Betreuung am Land. Daher beschäftigte sich die älter werdende Kathi mit Heilkräutern, welche sie nicht nur zum Wohl ihrer Familie, sondern auch für die Nachbarn einsetzte, wenn jemand von einem Leiden heimgesucht wurde. Geld, womit man Einkäufe erledigen könnte, gab es ja kaum. Die Nahrungsmittel wurden alle am Hof gewonnen. Das ergab harte Arbeit. Tagtäglich. So auch an diesem Frühlingstag, wo die Kathi in der Nacht nochmals aufstehen musste, um der schwer erkrankten Nachbarin Beistand zu leisten. Sie packte ihre Kräuter in den Rucksack und stapfte müde dem Waldweg entlang, diesem höher gelegenen Hof entgegen. Auf halbem Weg passierte das Unbegreifliche. Kathi sackte zusammen und verstarb an Ort und Stelle. Am Morgen war am Hof nichts mehr, wie es mal war. Die Kinder waren ohne Mutter. Das jüngste Mädchen erst drei Monate alt. Niemand da, um die Kühe zu melken, sowie die tägliche Arbeit zu tun. Der Hof wurde einige Jahre danach verkauft. Die Kinder kamen zu fremden Familien im Ort.

© Angela Buchegger 2024-04-29

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