von Lukas Stock
So viel zu meinen Umständen zu dieser Zeit. Ob sie in der Erzählung alle Relevanz finden werden weiß ich nicht, aber diese Zeit ist auch ein Porträt meiner Selbst, sodass ich es für förderlich halte Sie über meine damalige Verfassung aufzuklären. Ich blickte also einmal mehr aus dem Fenster, während ich wie ein Roboter für Michael Pancakes und für Stanley ein Omelette mit Käse zubereitete, als Michael sich räusperte und hörbar mit der Zeitung raschelte. Das war das Zeichen, dass eine pointierte Kommentierung irgendwelcher Beiträge beginnen würde. Ich spürte beinahe den Blick in meinem Rücken und drehte mich, ebenso mechanisch wie ich das Essen zubereitete mit einem aufgesetzten Lächeln um. Michael nickte zufrieden und ich konnte mich wieder umdrehen. Manchmal fragte ich mich, ob ihm nicht irgendwann einmal auffallen müsste, dass ich mit dem Kopf ganz woanders bin. Ich beobachtete ihn heimlich in solchen Momenten, aber er schien von den kleinen Zeichen, die ich ihm sandte entweder keine Notiz zu nehmen oder sie bewusst zu ignorieren. Wenn man Beckys Ausführungen dazu Glauben schenken durfte (und sie hatte immerhin wesentlich mehr Erfahrungen in solchen Dingen als ich) war wohl ersteres der Fall. In solchen Momenten seufzte ich in mich hinein und wandte mich wieder meiner Hausarbeit zu. „… fanden Ermittler des Clintwood Police Departement die Leiche einer 23-jährigen Frau in der Nähe des Lake Dakota, unweit der Stadt sorgsam verscharrt im trockenen Waldboden. Auf Nachfrage konnten uns die Ermittler bestätigen, dass es sich bei dieser Dame wohl um die bereits seit Monaten vermisste Isabel Deguard, eine stadtbekannte Schauspielerin handelt.“ Ich blickte mich zu Michael um. Er sah mich kurz an und las dann weiter, die Brille mit einer bemerkenswerten Sicherheit auf dem äußersten Ende der Nasenspitze tragend. „Damit bestätigt sich nunmehr der tragische Verdacht, der intern hinter vorgehaltener Hand bereits seit einigen Wochen geäußert wurde und mit der Zeit immer mehr Konkretheit gewann. Deguard war ein aufstrebendes Sternchen der Filmszene und galt als vielversprechendes Talent. Neben einigen Nebenrollen in bekannteren Filmen der letzten Zeit sollte ihr die Hauptrolle in „Just the two of us“, einer der größten Filmankündigungen Hollywoods für das nächste Jahr den endgültigen Durchbruch bescheren. Regisseur und Förderer Nicolas Lavezzi sowie zahlreiche Mediengrößen sprachen noch an diesem Morgen ihr tiefes Mitgefühl der Familie…“ Ich drehte mich wieder um, seine Stimme verschwand im Hintergrund als ich das Radio etwas lauter stellte und eine schnulzige, melancholische Ballade aus den etwas blechern klingenden Lautsprechern drang. Mord war das letzte, was meine geschundenen Nerven zu diesem Zeitpunkt gebrauchen konnten. Gerade sah ich den Schulbus hinter den grünen Linden auf dem weitläufigen Grünstreifen neben dem Bürgersteig anhalten. Dutzende Kinder rannten schreiend und lachend auf ihn zu. ‚Das Leben spielte sich dort ab, unbeschwert und laut – und hier drinnen liegt der Tod in der Luft. ‚, dachte ich mir. Der Kontrast wurde mit einem Mal so eindrücklich, dass ich das Küchentuch hinwarf und mich abrupt umdrehte. „Genug!“, sagte ich zu Michael und erschrak gleichzeitig über die Bestimmtheit meiner Stimme. Er nahm die Zeitung herunter und schaute mich stirnrunzelnd an. Dann schüttelte er den Kopf und stand auf. „Frauen.“, sagte er verächtlich.
© Lukas Stock 2025-05-27