2. Abschied

LM P

von LM P

Story


„Passt auf euch auf

In Liebe

Eure Stella“

Der niedergeschriebene Abschiedsbrief liegt vor mir auf dem Tisch. Ich habe kein Bock mehr auf diese ganze Kacke. Was ist, wenn ich den falschen Weg gehe? Wird mich wer dran hindern? Aber warum sollte mich jemand dran hindern? Ich habe kaum Leute, denen ich etwas bedeute. Ich schmeiße mich auf mein Bett. Alles, was ich spüre, ist Leere. Meine Beine lasse ich vom Bett baumeln. Ob es sich schön anfühlt, nichts zu fühlen oder doch unheimlich beängstigend ist, weiß ich nicht. Irgendwie ist es beides. Ich denke nicht klar. Aber ich bin froh, nicht mehr so gut denken zu können. Es fühlt sich alles leichter an. Keine Sorgen. Keine Probleme. Kein Geschreie, aber vor allem keine Beleidigung, die mich wieder zum Heulen bringen würden. Mir wurde beigebracht, dass Weinen eine Schwäche ist. Und wenn es doch mal passiert ist, dass ich vor ihnen geweint habe, dann wurde ich gleich beleidigt und bestraft. Der Satz: „Warum heulst du jetzt? Ich gebe dir gleich einen Grund!“ ist ein Traumasatz. Deswegen weine ich vor niemandem. Wenn ich allein bin und weine, gucke ich in den Spiegel, und frage mich, warum ich so schwach bin oder was falsch mit mir ist. Immer wieder höre ich sie mich anschreien. Es hat sich in mein Kopf gebrannt. An alles, was ich denken kann, sind diese gehässigen Worte, die sie mir immer wieder an den Kopf geschmissen haben. Ich wäre ja so undankbar, egoistisch und faul. Doch wenn sie sich mal ein bisschen mit befassen würde, wüsste sie, dass ich ihr gegenüber immer so war, wegen Selbstschutz. Ich habe mich vor ihr schützen müssen. Vor meiner eigenen Mutter. Sie hat alles versucht und wollte immer nur das Beste für mich – zumindest sagt sie das und ich glaube ihr das auch, aber es hat nicht geklappt. Das, was sie versucht hat, war mich zu kontrollieren und zu manipulieren. Sie wollte mein Leben benutzen, um nochmal mit ihrem von vorne zu beginnen. Mehr nicht. Heute habe ich überall irgendwo viele Traumas davon. Mit Warmherzigkeit kann ich gar nicht umgehen. Mit meinen Gefühlen und Emotionen noch weniger. Überall unzählige kleine Narben. Es müsste nur eine etwas Tiefere werden, dann… Wenn ich nicht bald damit aufhöre, weiß ich nicht, ob ich je wieder aufwachen werde. Aber hey, das ist doch das, was ich wollte. Als Kind hatte ich ja noch keine Ahnung. Da war noch alles egal, da konnte ich noch friedlich und nichts ahnend spielen. Mein Zimmer fängt an, immer kleiner zu werden. Starre ich die Decke an, fängt sie an, sich zu verpixeln. Sie fängt an, Gesichter zu bekommen, die mich grimmig zurück anstarren. Nicht mal sie können mich leiden. Doch frage ich mich, wie es wäre, wieder etwas zu fühlen. Wie war es damals, noch seinen Arm zu spüren, bevor man begann, sich zu zu ritzen? Ich habe so ein Taubheitsgefühl in meinen Beinen. Mein Körper gibt mir Anzeichen, dass er nicht mehr kann. Aber nicht nur mein Körper kann nicht mehr, meine Seele kann auch nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Aber man muss ja funktionieren. Aber bald muss ich es nicht mehr.

© LM P 2024-02-20

Genres
Romane & Erzählungen, Lebenshilfe
Stimmung
Herausfordernd, Hoffnungsvoll, Inspirierend, Reflektierend, Sad