2. Kapitel

Niklas Becker

von Niklas Becker

Story

Georg schaut wehmütig dem offiziös daherkommenden Herr Lippmann nach, seine Augen mit seiner flachen Hand vor der Sonne der Mittagshitze schützend; „Was der wohl wollte, was meinste?“, wendet er sich seinem Sohnemann zu, der den Kanten eines Tischbeins den letzten Feinschliff verpasst. – „Ich weiß nicht, Vater, vielleicht ein Geschäftsmann? Der Ernst soll ja den Laden umkrempeln wollen.“ – „Ja, ein Geschäftsmann. Gut möglich…“ – „Ich weiß, Vater, dir macht das alles Angst. Aber die Welt geht weiter. Und Geld, immer mehr davon? Wer sagt da schon nein.“ – „Ist nunmal nicht alles, Junge.“ – „Aber doch verdammt viel. Ich will nicht so sterben, wie ich geboren bin.“ – „Dass du dir darüber schon Gedanken machst. Du hast noch alles vor dir, Junge. Als ich in deinem Alter war -“ – „Ich weiß, Vater, da hast du genau das gemacht, was ich jetzt auch mache. Und wenn es nach dir geht, wird mein Sohn das irgendwann auch machen, und der nach ihm, und der nach ihm, immer so weiter. Hast du gehört, was sie inzwischen alles in der Stadt haben?“ – „Krankheiten, Sittenverfall, – wenn du mich fragst, hängen die zwei stark zusammen-, keinen Moment Ruhe, soll ich weitermachen?“ – „Automobile. Letztens war ein Reisender bei der Gertrude im Gasthaus, der hat davon erzählt. Automobile, Vater! Und wir gehen noch zu Fuß -“ – „Oder holen den Alten ausm Stall. Schneller ist nicht immer besser, Junge.“ – „Aber auch nicht immer schlechter. Da passiert wenigstens mal was. Vater, ich fühl mich hier wie eingesperrt. Jeder Tag ist gleich und draußen, da feiert die Welt die neue Technik, da wird getanzt und das Leben gefeiert.“. Georg kommt mit seinen Gedanken kaum noch hinterher. Er wünscht sich den alten August zurück, der hätte ihm den Rücken gestärkt. Der wusste harte Arbeit zu schätzen, die Ruhe nach einem anstrengenden Tage. Der hätte sich sein Paradies nicht von ein paar über Automobile fantasierenden Betonkindern von Reisenden vermiesen lassen. Erst in seinen 30ern und doch schon zu alt für die mutige, neue Welt, schon mit einem Fuß im Grabe. Ernst verlässt sein Büro mit einem unterdrückten, aber durchaus erkennbaren Lächeln im Gesicht, und kommt, beim Gehen immer wieder verträumt in die Ferne blickend, Georg und seinem Sohne entgegen. „Wer war der Mann, Ernst?“ – „Ein Herr vom Nachlassgericht.“, entgegnet Ernst etwas zu euphorisch. „Georg, sag mal, kennst du noch eine Frau Schulz? Du dürftest mit meinem Vater dereinst den Sarg für ihren Ehemann gefertigt haben.“ – „Ja, natürlich, die Frau Schulz. Das war wirklich eine traurige Angelegenheit. So jung verstorben, der Mann, und so plötzlich.“ – „Wie dem auch sei, in ihrem Testament fordert Frau Schulz, dass du auch ihren Sarg fertigst. Nimm deinen Sohn hinzu, der wird Gelegenheit haben, selbst noch etwas zu lernen.“ – „Mich fragte die Schulz an? Damals liefs doch alles über deinen Vater, Gott hab ihn selig, ich weiß nicht -“ – „Aber Georg, Georg, das ist doch gar nicht der Punkt. Wer könnte der Arbeit meines Vaters näher kommen als du und dein Junge? Es geht um Qualität, um feinste Handwerkskunst, und Vater hielt auf keinen seiner Lehrlinge so große Stücke wie auf dich, Georg. Ich vertraue auf deine Arbeit und auch auf deine Diskretion! Und wenn es so weit ist, die Schulz begraben ist, dann habe ich eine Verkündigung zu machen. Deinem Sohne wird das gefallen, das kannst du mir glauben. Also, ans Werk!“


© Niklas Becker 2024-09-05

Genres
Romane & Erzählungen
Stimmung
Dunkel