2. Willkommen im Leben: all-inclusive

ChristineTschakka

von ChristineTschakka

Story

Am vierten Lebenstag meiner Tochter gibt es einige gute, aber auch schlechte Nachrichten: Mausi darf „kangoo-ruhen“, aus dem Inkubator heraus, inklusive Kabel und SchlĂ€uche, auf meine Brust, auf meinen Bauch, in den direkten Körperkontakt, nackt. Ich bin die glĂŒcklichste Mama der Welt. Eine weitere gute Nachricht: Mausi erholt sich erstaunlich gut. Ein wahrhaftes Wunder nach Kollaps, nach Lungenversagen, nach schwerstem Sauerstoffmangel, nach Blutarmut. Sie ist eine KĂ€mpferin, und das sind bei weitem nicht alle Kinder auf der Neo-Intensiv in diesen Tagen um Weihnachten 2017 herum. Den Tagen zwischen den Jahren.

Eine schlechte Nachricht an diesem Morgen: der Papa darf aufgrund einer Infektion nicht mehr auf die Neo-Intensiv-Station. Er darf sein Kind nicht halten. Und ab sofort auch nicht mehr besuchen. Eine weitere schlechte Nachricht: Alle Organe im Bauch hÀtten sich zwar erholt, doch die Schwere der SchÀdigung im Gehirn bleibt abzuwarten. Es ist alles möglich. Und nichts.

Nach sieben Tagen nur auf der Neo-Intensiv wird unser MĂ€dchen auf die Normalstation verlegt. An Silvester 2017. Ein sonniger Tag. Wir sind guter Dinge und voller Dankbarkeit. Und fast zeitgleich macht sich in uns eine unfassbar große Ungewissheit breit: was, wenn Mausi nie fĂ€hig sein wird, sich selbst zu versorgen? Was, wenn unsere Tochter so viele Baustellen hat, Behinderungen, die sie hindern ein glĂŒckliches, selbstbestimmtes und freies Leben zu fĂŒhren? Und was, wenn wir selbst einmal zu alt, zu krank, zu schwach sein werden, um uns um sie zu kĂŒmmern? Und was, wenn uns im Außen permanent Steine in den Weg gelegt werden?

Ein erster Vorgeschmack auf jene Fragen, auf all diese brennenden Fragen, die uns die nÀchsten Jahre begleiten werden.

Bis zum 3.Lebensjahr etwa erkennt man, wohin die Reise mit Diagnose Infantile Zerebralparese gehen wird. Das Gehirn ist plastisch genug, um sich vielleicht (!) – da gesunde Bereiche vorhanden sind – in den ersten Lebensjahren so zu entwickeln, dass vieles möglich ist. Das wiederum kommt auf die QualitĂ€t der Förderung an, auf die Laune der Natur, und vor allem auf die innere Motivation des Kindes.

Spulen wir also einige Jahre vor: Mausi ist heute kognitiv voll da, sie versteht alles, was man von ihr will, kann ihren eigenen Willen verbal Ă€ußern, zumeist auch verstĂ€ndlich fĂŒr Außenstehende. In allen Bereichen, global entwicklungsverzögert. Ja, gut, vielleicht ein Sturkopf. Den hat sie wohl von mir. Motorisch ist Mausi stark beeintrĂ€chtigt. Sie kann greifen, sie kann sitzen – wenn man sie irgendwohin hinsetzt – sie kann aber (noch) nicht robben, krabbeln, sich selbst hinsetzen, abstĂŒtzen, stehen, gehen, laufen. Das heißt, da wo man sie hinsetzt, bleibt sie erstmal.

Hier sind wir also hineingeschlittert: welcome to our new life!

Willkommen im Leben all-inclusive!


© ChristineTschakka 2024-01-20

Genres
Romane & ErzÀhlungen