2: Wir spielen Cowboy und Indianer

Viktoria Harrer

von Viktoria Harrer

Story

In einer meiner Straßen lebte in den 50er Jahren eine Familie mit vier Kindern. FrĂŒher besaßen sie eine Landwirtschaft, was in einer lĂ€ndlichen Gegend, in welcher ich liege, nichts Ungewöhnliches darstellte. Damals wurden die Äcker noch traditionell mithilfe von Pferden gepflĂŒgt, die neue Technik mit all den Maschinen kam erst spĂ€ter. Die Familie besitzt noch heute einen Kartoffelacker. Zudem arbeitete der Vater einige Zeit als Hufschmied. Noch heute findet man alte Hufeisen dort. So befand sich auf dem GrundstĂŒck eine große Scheune mit einem Heuboden. In der Scheune wurden hauptsĂ€chlich GartengerĂ€te gelagert. Der Heuboden aber war eine eigene Welt, die von Kindern und ihrer Fantasie zum Leben erweckt wurde.

Die beiden Ă€lteren Kinder der Familie, beides Buben, vom Alter her nur ein Jahr auseinander, konnten dort gemeinsam mit ihren Freunden und Nachbarn viele Abenteuer bestehen. Ganz im Sinne von Karl May bauten sie sich ihren eigenen Wilden Westen. Als echte Cowboys brauchten sie natĂŒrlich auch ein Pferd, denn ohne konnten sie keine GefĂ€hrten von Winnetou sein.

In der Scheune, fĂŒr Kinder wahrlich ein Paradies an magischen Dingen, fanden sie einen alten Sattel, der noch von der alten Landwirtschaft ĂŒbrig war. Diesen nahmen sie mit auf den Heuboden. An einem der massiven Holzbalken hĂ€ngten sie den Sattel mit einem Seil auf. Von da an hatten sie ein Pferd. Und das wurde genutzt. Auf dem Sattel schaukelten sie wild hin und her und erlebten viele tolle Nachmittage im Reich der Fantasie, immer an der Seite ihrer Helden Winnetou und Old Shatterhand.

Ich habe die Scheune natĂŒrlich bis heute im Blick. Sie steht noch immer an derselben Stelle. Auch das GrundstĂŒck ist noch in Familienbesitz. Noch immer wird sie vorrangig als Lagerraum fĂŒr GartengerĂ€te genutzt. Nur der Heuboden hat die Zeit nicht so gut ĂŒberdauert. Der Lauf der Natur ließ ĂŒber die Jahre Löcher im Dach entstehen, die Balken wurden morsch. Dort hinaufzusteigen ist mittlerweile zu gefĂ€hrlich. Aber man kann noch hoch schauen und so erzĂ€hlt ein Vater seiner Tochter von den Abenteuern, die er als Junge an diesem Ort erlebt hat und zeigt dabei auf ein Seil, an dem einmal ein Sattel hing.

© Viktoria Harrer 2023-01-22