Lee S. Basil
Weiße Flocken tanzten um ihren Kopf, während sie den Zigarettenqualm langsam in die eisige Nachtluft blies. Die Augen geschlossen, legte sie den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Hinter ihr die Tür zum Haus ihrer Kindheit, links und rechts zogen sich die gleichen Häuser in bunten Farben erleuchtet bis in die Unendlichkeit. Alles glitzerte, funkelte, blinkte in allen Farben des Regenbogens. Die Nachbarn schienen sich jeder mit ihren Plastikrentieren und Riesenschneemännern besonders hervortun zu wollen, versuchten sich gegenseitig auszustechen, doch immerhin war es schön anzusehen.
Sternsinger zogen von Haus zu Haus, wie der Duft nach Plätzchen undWeihnachtsgans.Ihr Magen rebellierte. Hatte sie heute überhaupt schon etwas gegessen? Das Essen war ein Reinfall gewesen, Heiligabend im Kreis der Familie – absolute Horrorshow.
Mam hatte kein nettes Wort übrig, ihr neuer Freund zu viele. Die Tanten und Onkel küssten und redeten viel, sagten nichts. Vor dem Spiegel ihr neues Kleid bewundernd hatte ihre Mam sie gefunden. Nach all der Zeit, war das Gefühl verschwunden gewesen – endlich, sie hatte sich auf das Essen gefreut, sie fühlte sich nicht gut, aber okay. Und das war genug.
„Du hast wieder zugenommen.“ Es war Fakt, keine Gemeinheit, doch es war der Windhauch den es benötigte, um sie von der Klippe zu schubsen. „Es gibt wieder keine Zimtsterne“, hatte sie hitzig entgegnet und sofort bereut, als die Schatten über die Augen ihrer Mam fielen. Der Streit war hässlich gewesen, Worte fielen, die nicht hätten fallen sollen und die Schreie unterhielten die halbe Nachbarschaft. Nun stand sie hier, zog erneut an der Zigarette, während stumme tränen über ihre Wangen liefen.
„Ich wünschte, du wärst hier“, flüsterte sie in den Nachthimmel, hinauf zu den Sternen. „Zimtsterne hattest du immer am liebsten, du hast sie mir heimlich vor dem Essen zugesteckt, damit Mam nichts merkte.“ „Ich esse“, sagte sie, nachdem die erste Zigarette verglüht war, sie zündete eine weitere an. „Ich esse. Nicht viel, nicht genug – noch nicht. Du fehlst uns, besonders jetzt.“ Die Lichter um sie herum, so bunt, so hell, so wunderschön und doch so grausam. Weihnachten feierte man im Kreis der Familie, das Fest der Liebe. Die Familie war kaputt, die Liebe erloschen. „Ich wünschte, du wärst hier“, flüsterte sie erneut. „Ich vermisse dich.“ Ein Windhauch fegte ihr die Zigarette aus der Hand in den Schnee. Fluchend kramte sie nach einer neuen, als der Gesang lauter wurde.
Sternsinger, beinahe ein Dutzend eilten an ihr vorbei. Ein junges Mädchen, blonde Zöpfe hingen ihm über die Schultern, lächelte ihr mit einer Zahnlücke im Mund entgegen. In seiner Hand eine Dose. Es kam auf sie zu, sang fröhlich mit „Stille Nacht“– sein Lieblingsweihnachtslied.
„Ich habe gar kein Geld bei mir“, sagte sie.„Zimtsterne?“, fragte das Mädchen. Die Dose hocherhoben, entströmte ihr der zimt‘ne Duft. Sie lächelte und griff zu. „Fröhliche Weihnachten“ Paps.
© IrgendwasmitLiebe 2022-11-14