21. Erklär mir nicht mein leben.

Davin Morgenstern

von Davin Morgenstern

Story

Jedes Jahr aufs Neue: das übliche Weihnachtsessen. Und mit dem Essen kommen sie, die guten Ratschläge: „Warum machst du nicht einmal, was wir dir sagen?“

Ich wünschte, ich könnte behaupten, es wäre jemals anders gewesen. Schon als Kind habe ich es bemerkt: Alle gegen alle ist die Devise. Nicht, dass es mich früher gestört hätte, aber es war mehr die Hoffnung auf ein freudiges Fest. Doch um sich zu freuen, muss man sich nach den Wünschen der anderen richten, und diese änderten sich gefühlt jedes Jahr, sodass es eben nie passte. Heute, mit 21, bin ich Teil dieser Wünsche, doch keiner ist Teil meiner Träume.

„Du könntest doch mehr in der Arbeit machen, oder? Verstehst du dich gut mit allen? Warum ist es so schwer für dich, eine Beziehung zu führen? Es kann doch nicht schlimmer als früher sein, und wenn doch, warum machst du es dir nicht ein bisschen einfacher? Nein, du hast sicher schon wieder nur Blödsinn getrieben, oder?“ Fragen, und eigentlich wollen sie doch keine Antworten. Sie wollen nur, dass ich ihnen sage: „Ja, du hast recht“ oder noch besser: „Danke, dass du mir mein Leben erklärst.“

Während ich gedankenverloren auf meinen Teller schaue, beginnt der übliche, ungewollte, gewollte Streit. Meine Mutter und meine Schwester diskutieren. Keine Ahnung, worüber, doch das Zeichen steht auf „Wir werden heute keine Freude haben.“ Der Satz fällt: „Jetzt sag doch auch mal was!“ Meine Mutter will immer, dass mein Vater einschreitet, um unterstützt zu werden, doch ihm ist das immer egal. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ihm schon immer alles egal war, solange er seine Ruhe hat. Und wie aus dem Nichts kommt es: „Und wie stehst du dazu?“

Ich war fassungslos, dass ich Teil dieses unnötigen Gesprächs sein sollte, und noch fassungsloser, dass mein erwachsener Vater mir die Verantwortung zuschreiben wollte, seine Familie durch ein Weihnachtsfest zu führen. Ich wollte es nicht, und dann kam es, das letzte Weihnachtsfest, bei dem ich anwesend war. Beendet mit dem Satz: „Erklär mir nicht, wie ich mein Leben leben soll, erklär meinen Geschwistern nicht, wie sie ihr Leben leben sollen. Sei doch einfach mal glücklich und froh über deine Kinder.“

Ich hatte Herzrasen, so direkt hatte ich noch nie mit meiner Mutter gesprochen. Kein Laut von meinem Vater, ich war in Rage und wusste: Heute, vielleicht nie, oder besser, nicht so, wird es anders. Ich hörte nicht einmal ihre Antwort, ich sah nur ihr Gesicht, das sagte: „Wie kannst du nur?“ Und mit all meiner Kraft ging ich. Tage später bekam ich Textnachrichten, meine Antwort: „Ich komme erst, wenn es ein glückliches Weihnachten gibt. Schreib mir bis dahin nicht mehr.“ Angst, Trauer und irgendwann Wut gingen durch mich hindurch bis zu dem Tag, an dem der Satz „Erklär mir nicht mein Leben“ zu einer Erleichterung wurde, einer Erleichterung, nicht gezwungen zu sein, etwas zu diskutieren oder zu besprechen, was keine Freude, sondern Jahr für Jahr nur endlose Zeitverschwendung war – getarnt als Weihnachtsfest.


© Davin Morgenstern 2024-08-30

Genres
Romane & Erzählungen