(28:05-31:35)

Maximilian Kurz

von Maximilian Kurz

Story
MĂŒnchen 2010 – 2020

Ich erinnere mich noch genau an ihre Reaktionen. Meine Mutter war erleichtert – sie hĂ€tte alles dafĂŒr gegeben, dass ich aus der Politik aussteige. Sie wusste schon immer, dass ich eigentlich viel zu sensibel fĂŒr dieses GeschĂ€ft war. Mein Vater fragte mich, ob ich wirklich jetzt, nach all den Jahren und dem Aufstieg, genau jetzt – am Höhepunkt meiner Karriere– aussteigen wollte.

Jetzt, wo bald die nĂ€chsten großen Wahlen anstehen und das Ticket in den Nationalrat oder den Landtag greifbarer als je zuvor war. Aber ich hatte damit abgeschlossen. Ich wusste, dass mich kein Amt der Welt mehr davon abhalten könnte, wieder der Mensch zu werden, der ich eigentlich war.

Als ich nach dem GesprĂ€ch mit meinen Eltern in meine Wohnung ging, begann ich hysterisch, meinen Lebenslauf zu ergĂ€nzen und Motivationsschreiben zu verfassen. Ich bewarb mich ĂŒberall: in ZĂŒrich, Bozen, Mailand, MĂŒnchen, Wien. Irgendetwas in mir gab mir in diesem Moment die Kraft, einen Schlussstrich zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen. Und ich wusste, dass die einzige Lösung, die ich hatte, auch die radikalste war: Ich mĂŒsste weggehen und alles hinter mir lassen.

Am Dienstagabend bekam ich einen Anruf aus MĂŒnchen. Der Anrufer bot mir fĂŒr den nĂ€chsten Tag, also den Mittwoch, ein Online-BewerbungsgesprĂ€ch an. Ich sagte zu und erhielt nach dem GesprĂ€ch bereits die Zusage fĂŒr den Job.

Also, „Job“ ist tatsĂ€chlich vermutlich ein bisschen ĂŒbertrieben, weil es war nur eine Praktikumsstelle. Aber es war die Chance. Es war die Möglichkeit. Es war der Ausweg, den ich so lange gesucht hatte – raus aus dem ganzen Wahnsinn. Und es war in diesem Moment komplett egal, dass ich all meine Positionen fĂŒr eine Praktikumsstelle aufgebe. Denn dieses Praktikum bedeutete einen möglichen Neuanfang.

Ich rief meine Eltern und meinen Bruder zusammen und erzĂ€hlte ihnen, dass ich nach MĂŒnchen ziehen wĂŒrde. Am Freitag kĂŒndigte ich alle meine politischen Positionen, meinen Job und ich legte meine Mandate und Vereinsmitgliedschaften nieder. Am Samstag stieg ich ins Auto und fuhr erstmals ĂŒber die Grenze nach Deutschland.

Innerhalb einer Woche Ă€nderte sich nun mein ganzes Leben. „Maxl geht“, schrieb ein Zeitungsportal ĂŒber meinen spontanen RĂŒcktritt. Der Artikel las sich in diesem Moment noch eher so, als wĂŒrde ich auf Urlaub gehen und irgendwann wieder zurĂŒckkommen. Doch es war wörtlich zu nehmen: „Maxl geht“ – und er kommt nicht mehr zurĂŒck.

Ich weiß noch genau, dass ich, als ich das Zimmer im Hotel betrat, einfach nur zu weinen begann. Es fiel so unglaublich viel Ballast von mir ab – ich fĂŒhlte mich in meinem ganzen Leben noch nie so frei. Ich hatte mich – freiwillig und aus eigenem Willen – mit einem so großen Gewicht beladen, mit so viel Verantwortung – aber auch mit so vielen Themen, die mir zusetzten, die ich innerlich aber nicht mehr fördern konnte.


© Maximilian Kurz 2025-02-25

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