von Günter Hagmann
Es war 1952, also als ich 10 war und in die 4. Klasse Volksschule ging. Mein Schulweg führte von Levis durch das ganze Stadtzentrum, über die Ill, dann beim Landesgericht links in die sogenannte “Stella matutina”. Ich wurde niemals in die Schule gebracht, meistens lief ich barfuß durch die Stadt. Schuhe hatte ich keine. Ich glaube nicht, wegen materieller Notlage, aber davon später. Manchmal lief ich diesen Weg von etwa 40 Minuten zweimal, am Vormittag und am Nachmittag.
Der Lehrer mochte mich. Vielleicht auch deshalb, weil er auch in Levis wohnte und ich gelegentlich das Fahrrad seiner Frau putzen durfte. Ich war ein guter Schüler und hatte in der Volksschulzeit nur einmal einen “Dreier”, sonst nur “Gut” und “Sehr gut”.
Das Problem begann am Tag nach Fronleichnam. Da hatten wir Religionsunterricht und der Relilehrer fragte sofort nach, ob wir denn an Fronleichnam alle in der Kirche waren. Ich, als der Wahrheit verpflichtet Schüler, zeigte auf und der Pfarrer kam mit schon geröteten Augen auf mich zu und fragte noch einmal, ob ich denn wirklich nicht in der Kirche war. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass mein Vater ein altes Bauernhaus in Dornbirn gekauft habe und wir schon um sechs Uhr dorthin gefahren sind, um zu arbeiten. Das ließ bei ihm offensichtlich alle Sicherungen durchgehen, denn jetzt herrschte er mich mit wutverzerrtem Gesicht an, das das doch nicht möglich sei!
Ich musste mich sofort in die Ecke stellen, wo ich bis zum Ende der Religionsstunde blieb.
Unter Tränen erzählte ich meinem Vater, was geschehen war. Er setzte sich hin und schrieb einen Brief, den er mir im zugeklebten Kuvert gab und den ich dem Religionslehrer bei der nächsten Religionsstunde übergeben solle. Ich tat, wie mir geheißen, mit ziemlich verheerenden Folgen.
Der Religionslehrer, nach meiner Erinnerung ein Akademiker mit Doktortitel (dessen Namen ich heute noch weiß) lief rot an und befahl mir, augenblicklich die Klasse zu verlassen. Nicht genug, ich habe in jeder weiteren Religionsstunde die Klasse zu verlassen und auf dem Gang zu verbringen!
Die Folgen waren verheerend: ich war ein Ausgestoßener von der Klassengemeinschaft und wer weiß, wie beinhart und mehr oder weniger geschlossen eine solche Gemeinschaft reagiert, der kann sich vorstellen, wie ich mich gefühlt habe!
© Günter Hagmann 2021-06-21