2.Vorurteile

Teuta Dzaferi

von Teuta Dzaferi

Story

Mit ungefähr 12 Jahren kam ich auf ein Gymnasium in der Nähe unseres Wohnortes. Wie bereits erwähnt sind hier hauptsächlich Ärztekinder, Anwaltskinder usw. zu finden, denn es ist eine sehr privilegierte Gegend und voll von gebildeten Menschen. Ich fand mich dennoch recht schnell zurecht und verstand mich gut mit den Kindern dort. Was mir jedoch während der Schulzeit zunächst nicht auffiel: wie stark einige Kinder von dem Gedankengut ihrer Eltern beeinflusst wurden. Ich nehme es ihnen nicht übel, wirklich nicht, aber ich nehme es den Eltern übel, die ihre Kinder auf diese Schule und in die Welt hinausschickten, ohne sie aufgeklärt zu haben. Da wurde ich teilweise gefragt: “Darfst du überhaupt mit Jungs reden?” oder “Warum macht ihr so etwas dummes wie Fasten?” Solche Sätze musste ich mir mit 12 anhören, ganz zu schweigen von solchen Sätzen wie “Wie ist das bei euch mit dem Sex?”. Ich war 12 Jahre alt, kannte mich noch kaum mit dem Thema aus und wurde so etwas Übergriffiges von gleichaltrigen Kindern gefragt. Im Nachhinein frage ich mich oft, wie ich solche Fragen zulassen konnte, aber damals dachte ich, es wäre Neugier und dass viele es nicht besser wussten, da ihre Eltern es ihnen auch nicht besser erklärt haben. Doch es war nicht wirklich Neugier. Mit meinen Antworten sollte ich ihre Klischees bedienen bzw. die der Eltern. Sie hatten Vorstellungen bezüglich meiner Antwort. Es waren nicht nur die Kinder, später wurde mir bewusst, dass unsere Nachbarn auch nach Vorurteilen dachten: “Macht man das in eurer Kultur auch so?”, war eine Frage, die sehr oft fiel. Oft war ich sehr beschämt nach solchen Fragen. Doch was sollte ich schon sagen? Ich war 12 Jahre alt und kannte mich selbst kaum aus. Woher sollte ich wissen, was solche Aussagen bedeuten und vor allem, was sie für ein Ausmaß annehmen konnten?Mein heutiges Ich findet es schlimm, welchen Fragen ich damals ausgesetzt wurde, doch natürlich konnte ich viel lernen. Ich lernte, dass man zu sich stehen muss, vor allem in Situationen wie diesen. Wenn Menschen nicht besser Bescheid wissen, dass ich gerne bereit bin aufzuklären, aber nicht bereit bin, die Erziehung der Eltern zu übernehmen, nur weil diese sich nicht von ihren heteronormativen Gedankenmustern lösen können. Damals habe ich mich gefragt, ob sie die Antworten auf diese Fragen wirklich nicht wussten oder nur so taten. Heute weiß ich, dass eher die Eltern aus diesen Kindern gesprochen haben als tatsächlich wirklich die Kinder selbst, da die sich mit solchen Themen nicht auseinandersetzen mussten. All das sehe ich heute ein wenig anders. Dieses Buch richtet sich vor allem an die Kinder, die damals ausgegrenzt wurden, aber auch an die Kinder und Eltern, die noch viel zu lernen haben und sich nicht nur ihrer Privilegien, sondern auch ihrer Erziehung bewusst werden müssen, um an ihre Kinder nicht die falschen Werte weiterzugeben.

© Teuta Dzaferi 2022-04-16