von Alisha Steckert
Ich war also in einer Beziehung und er frisch getrennt. „Naja, viel anders ist meine Beziehung mit Christian auch nicht. Wir sind außerdem aus zwei verschiedenen Welten. Das macht es manchmal schwer, gemeinsame Themen zu finden oder etwas zu unternehmen.“ Wir redeten noch lange, bis er abgeholt wurde. Zum Abschied winkte ich ihm zu, während Jannik seinen Arm ausstreckte und mich wohl umarmen wollte. Der Schluss war uns beiden sichtlich unangenehm. Bevor ich mich jedoch endgültig umdrehte, grüßte ich noch seine Mama, welche im Auto saß und auf ihren Sohn wartete. Mein Papa sollte auch bald da sein, weswegen ich mich beeilte zum verabredeten Treffpunkt zu laufen. Innerlich hatte ich mit Jannik abgeschlossen, denn er wirkte auf mich nicht wie jemand, der sich noch einmal melden würde und ich wollte es auf sich beruhen lassen, um Christian nicht zu verletzen. Deshalb war ich auch so überrascht, als spät am Abend eine Direktnachricht von Instagram in meinem Feed aufploppte: Jannik fragte darin: „Lebst du noch?“ Ich schrieb zurück, dass es mir gut gehe und ich noch am Leben sei.„Gut, ich wollte nur sicher gehen, dass du gut zu Hause angekommen bist.“ Ich lächelte in mich hinein und fand es insgeheim süß, dass er sich so um mich sorgte und mir seine Aufmerksamkeit schenkte. Das war der Tag, an dem alles begann und an dem sich alles veränderte. Der 27.06.2020.
Von da an schrieben wir fast täglich. Er hörte mir zu, wenn ich einen Rat brauchte oder mir lediglich etwas von der Seele reden wollte. Ich beriet ihn ebenso, wenn er etwas wissen wollte. Manchmal erzählten wir uns auch nur Dinge aus unserem jeweiligen Alltag. Einmal sollte er einen Englischvortrag halten und berichtete mir, es sei gut gelaufen, aber er habe trotzdem nur eine Fünf bekommen. „Wie kann das sein?“, habe ich entsetzt gefragt. Es stellte sich heraus, dass er den Vortrag auf Deutsch gehalten hatte. Solche kleinen Geschichten haben mir unglaublich geholfen, meine eigene Tristheit und meine eigenen Probleme kleiner zu denken. Im Jahr 2020 hatte ich große Schwierigkeiten mit mir selbst klar zukommen. Ich habe diese Depression noch heute, doch mittlerweile klappt es, nicht zuletzt dank meiner zwischenzeitlichen Therapie, sehr gut. Ich erzählte Jannik auf viel von Christian und unserer Beziehung. Irgendwann vertraute ich ihm so sehr, dass wir sogar ins Detail gingen. Ich fühlte mich damals in die Ecke gedrängt. Chris, wie ich ihn nannte, verglich oft unsere Noten, wobei seine weitaus besser waren. Ich kam mit den meisten Mitschülern und Lehrern nicht klar, wodurch sich meine Lernmotivation stark in Grenzen hielt. Außerdem war ich nicht zufällig das Kind zweier Ärzte und hatte gerade ein tolles Auslandsjahr hinter mir, über welches ich permanent reden konnte. Ich war auch nicht in der Lage das Deutsche und amerikanische Schulsystem zu vergleichen oder die tollen Sportarten oder Sozialversicherungssysteme. Ich war einfach nur ein depressives Mädchen mit Komplexen.
© Alisha Steckert 2022-08-22