#3 Der Schock

Jürgen Holzinger

von Jürgen Holzinger

Story

Die Seitentür ging auf und mit dem Spezialsessel brachten mich die Sanitäter ins Freie. Ich konnte kurz einen Blick auf die Umgebung erhaschen. Ringsum, überall Natur und links vom Gebäude befand sich ein Minigolfplatz sowie rechts ein Wasserbecken, das vermutlich im Sommer befüllt und mit einem Springbrunnen versehen war. Es war der Jahreszeit entsprechend kalt und so beeilten sich die Sanitäter mit dem „Transfer“ in meinen Rollstuhl.

Vor mir lag ein hohes, imposantes Gebäude mit einem großen Eingangsbereich. Die Sanitäter brachten mich und meine Sachen durch zwei Schiebetüren in das Foyer des Gebäudes, wo mittig der Portier saß. Die Männer wechselten ein paar Worte und der nette Portier zeigte uns den Weg zur Anmeldung. Wir bogen links beim Pult ab und fuhren einen schier endlos langen Gang entlang bis zu einem Quergang, wo sich auch die Aufzüge befanden. Vis à vis von den Aufzügen befand sich eine Tür mit der Aufschrift „Verrechnung/Aufnahme“ und die Sanitäter fuhren mich mit dem Rollstuhl in das Zimmer. Eine Frau begrüßte uns höflich und danach erledigten wir alle Formalitäten. Anschließend bekam ich einen Ausweis mit einem Umhängeband sowie alle notwendigen Informationen betreffend der Rehabilitation ausgehändigt. Dann wurde ich von den Sanitätern mit dem Aufzug auf die vierte Ebene gebracht und ich sollte mich bei der Station melden.

Dort wurde ich von dem Pflegepersonal in Empfang genommen und nach Rücksprache mit dem zuständigen Pfleger musste ich noch ein wenig warten, da die Erstuntersuchung anstand. In der Zwischenzeit verabschiedeten sich die Sanitäter höflich bei mir und traten anschließend die Heimreise an. Ich bedankte mich noch bei Ihnen für ihren Einsatz und dann sah ich mich kurz um. Dabei dachte ich: „Dies soll bis auf Weiteres mein neues zu Hause sein?“ Ich war ein wenig skeptisch, ob ich mich hier auch wohlfühlen könnte.

Als dann mein Name aufgerufen wurde, begleitete mich ein Pfleger in den Untersuchungsraum und der zuständige Arzt wartete schon auf meine Ankunft. Er gab mir die Hand, stellte sich vor und erzählte mir etwas über die bevorstehende Untersuchung sowie über den Ablauf der Therapien. Dann begann die Untersuchung. Er stellte mir Fragen über meine Krankengeschichte und untersuchte mich gründlich. Er hörte Herz und Lunge ab, untersuchte die Augen, den Mund und die Ohren und vergewisserte sich über meinen aktuellen Gesundheitszustand. Dann wurde ich gewogen, gemessen und all meine Verletzungen wie Brüche und Narben wurden genauestens dokumentiert.

Es traf mich sehr, all diese Zahlen zu hören und mit ihnen konfrontiert zu werden. Denn meine frühere, doch stattliche, Körpergröße von knapp 180 Zentimeter betrug nun nach den Amputationen nur mehr 125 Zentimeter. Das heißt, fünfundfünfzig Zentimeter meines Körpers waren weg. Für immer. Ohne Wiederkehr. Ich dachte mir nur eines: „Wahnsinn, mehr als ein halber Meter meines Körpers wurde mir für mein ganzes, weiteres Leben genommen.“ Das war die beinharte Realität und ich wurde kreidebleich im Gesicht. Wahrlich ein Schock. Doch es kam noch schlimmer …

© Jürgen Holzinger 2023-01-18

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